Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klint bis heute, Hrsg. Markus Brüderlin; Vlg. Hatje Cantz, Ostfildern 2013, ISBN 978-3-7757-3626-8; 392 Seiten, 400 Farbabb.; deutsche und englische Buchangaben.
Dieses Buch, das die Ausstellung gleichen Titels begleitet, wurde drei Jahre lang geplant und versteht sich als Entsprechung zu der 2001 im gleichen Wolfsburger Kunstmuseum gezeigten Ausstellung “Ornament und Abstraktion – Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog”. Das Museumsteam unter Leitung seines Direktors Markus Brüderlin bestand aus Kunstwissenschaftlern ohne Bezug zum Textilen, weder in Ausbildung noch in Praxis. Man ist stolz darauf, ein Standardwerk zu diesem Thema erarbeitet zu haben, mit 14 beteiligten Autoren, darunter Beverly Gordon, die zwar aus ihrem textilen Repertoire schöpft, aber mit der Konzeption von Ausstellung und Buch nichts zu tun hatte. Man muss vor dem Recherchefleiß des Teams den Hut ziehen. Es ging ihnen nicht darum, die Kunstgeschichte vom Jugendstil bis zum Heute zu referieren, auch nicht eine Übersicht über die textilen Künste in dieser Zeit zu geben, sondern durch eine Vielzahl an Querbezügen zur Malerei und den Objekten aus anderen Kulturen gedankliche Konstellationen zu schaffen, immer auf der Spur des textilen Einflusses auf das zu geben, was sie unter ‘moderner Kunst’ verstehen. Es werden der österreichische Kunsthistoriker Alois Riegl (1858 – 1905) und der Architekt Gottfried Semper (1803 – 1879) bemüht, um ideologisch das Textile in ihren Kontext einzufügen, das doch eigentlich etwas Kunstgewerbliches ist, Frauenkram und weibliche Hausarbeit. Dieses Vorurteil zu überwinden, helfen ihnen die ‘Spiderwomen’ Bourgeois, Trockel, Hatoum und Amer, die sich ohnehin selbst schon in die ‘moderne Kunst’ eingeschlichen und sie gelehrt hatten, dass man so etwas nicht mehr denken darf. Sie geben zwar Lenore Tawney Raum, vertrauen aber lieber auf Rosemarie Trockel, die zusammen mit ihrer Galeristin seit Jahren effekthascherisch unterwegs ist. Das Kunstmuseum Wolfsburg möchte seine Arbeit als die Erkundung der Bedeutung des Textilen verstanden wissen, auch als eine ‘Neulesung’ der Geschichte der modernen Kunst vom Jugendstil bis heute. Als Leser, der den Apologeten der ‘modernen Kunst’ misstraut, die ja nur einen Teilbereich der bildenden Kunst bearbeiten und die Kunst des Herstellens des physischen Objektes missachtet, nur den ‘geistigen’ Gehalt des Ergebnisses misst, sieht man sie das textile Medium nicht erfassen, dessen Gebrauchswert immer Bestandteil seiner Existenz ist, wie das Ergebnis von Architektur oder Agrikultur. Man hört, dass die Museen und ihr Personal um die Deutungshoheit in ihrem Metier fürchten, die angesichts der elektronisch verfügbaren Meinungsvielfalt in Gefahr geraten sei. Wir sollten hoffen, von Deutungshoheiten verschont zu werden!