Vom 23.April bis 10. Juni 2015 zeigt das Museum für angewandte Kunst in der lettischen Hauptstadt Riga seine Fünfte Internationale Textilkunst Triennale. Das Thema „Diversity & Unity“ wurde bewusst im Zusammenhang mit Lettlands diesjähriger EU-Präsidenschaft gewählt, um die nationalen Identitäten innerhalb der EU und ihre Stellung in der globalisierten Welt zu verdeutlichen. An der Eröffnung nahmen rund 60 Künstlerinnen und Künstler teil. Die in der Ausstellungshalle „Arsenãls“ hervorragend zur Geltung kommenden Werke zeugen von künstlerischer Qualität und hohem textiltechnischem Können. Häufig sind imposante Tapisserien und Installationen.
Die Ausschreibung fand grosses Echo. Von hundertsiebenundachtzig eingereichten Arbeiten aus dreiundvierzig verschiedenen Ländern wählte die Jury fünfundachtzig Werke. Die ausgewählten Künstler gehören neunundzwanzig verschiedenen Staaten an, dabei ist jeder Kontinent mindestens einmal vertreten. Die Mehrheit der Künstler ist aus Nordeuropa. So sind Lettland mit vierzehn , die Niederlande mit acht, Litauen und Norwegen mit je sieben, Polen und Deutschland mit je sechs Arbeiten vertreten, gefolgt von Japan mit vier Objekten. Alle anderen Länder sind mit ein bis drei Werken repräsentiert. Viele Namen der ausgewählten Künstler und Künstlerinnen sind bereits bekannt.
Nationale Verschiedenheiten und unterschiedlich kulturelle Ausdrucksweisen zeigen sich deutlich in der weitgefächerten künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema “Diversity & Unity”. Sei es auf harmonische, ermahnende, boshafte, erschreckende oder auf spitzbübische Art und Weise. Gänzlich unbeschwert spielt die Norwegerin Danuta Haremska damit. Ihr in „Similar, yet unique“ in Pappmaché-Töpfen gezogenen künstlichen Pflanzen scheinen mit einem Augenzwinkern auf die Normvorschriften der EU zu weisen. Simple Heiterkeit und Leichtigkeit vermittelt das weltweit verständliche Wort „Happiness“ auf leuchtend gelbem Hintergrund der Japanerin Misao Watanabe. Auch soziale oder religiöse Themen werden in unterschiedlichsten Variationen aufgezeigt.
Eine grosse Rolle spielt die zur Globalisierung gehörende Vernetzung. Das Wort „Connection” findet sich bei mehreren Künstlern bereits im Titel. Andere Arbeiten beschäftigen sich mit politischen Fragen und Stellungnahmen, so der Teppich “Fragile Wall” des Letten Jānis Bankovičs. Die farbenfrohe Frische der Vorderseite kontrastieren Sichel und Hammer der Rückseite. Auch Kriegsgeschehnisse wurden aufgegriffen. Das wohl eindrücklichste, schockierendste Objekt dazu dürfte „Abu Ghraib II“ der Norwegerin Unn Sønju sein. Andere Arbeiten zeugen von Naturkatastrophen oder von diffusem, angsterweckendem Unheil. Diese Werke wecken tiefe Emotionen, weisen auf Verbindungen und Zusammenhänge der Globalisierung hin und rufen nicht zu benennende Ängste hervor: Jeder Zeit kann Unvorhergesehenes geschehen, wie auf der Tapisserie „Out of the Blue“ der Engländerin Christine Sawyer.
Die künstlerischen Entwicklungen und Innovationen von neuen Techniken gehen Hand in Hand mit der Konzipierung und der Kreierung des textilen Kunstwerkes. Parallel dazu finden sich veränderte Wiedereinführungen von älteren traditionellen Techniken. So zeigt sich beispielsweise der aktuelle Modetrend des Strickens in einem Wandbehang und einer Installation. Aber auch diese, in traditioneller Technik gefertigten Objekte präsentieren sich in neuem „Outfit“, wie die „Carpet Collection Repeated“ der Littauerin Severija Inčirauskaitė-Kriaunevičienė.
Die in der Ausstellung gezeigten Werke verdeutlichen einen neuen Stellenwert des künstlerischen Schaffens mit Textilien in unserer Gesellschaft. Die Ausstellung ist sehenswert. Sollte ein Besuch nicht möglich sein, ist der Katalog zu empfehlen.
Ursula Karbacher, Kuratorin Textilmuseum St. Gallen, Schweiz