Neue Austellungen:
Johanna Schütz-Wolff : Expressive Bildteppiche und Grafik, von 12.11.2015 bis 28.2.2016 im Museum Starnberger See, Possenhofener Str.5, 82319 Starnberg, Öffnungszeiten: Di. – So. 10 – 17 Uhr
Für September 2016 ist eine Ausstellung mit den Arbeiten von Johanna Schütz-Wolff im Schloss Willigrad bei Schwerin, geplant!
Ausstellung von 21.5 bis 20.9.2015 Im Grassi Museum für Angewandte Kunst,
Johannisplatz, Leipzig
Johanna Schütz-Wolff ist eine der zu Unrecht von der Geschichte fast vergessenen Künstlerinnen, die anfänglich grössere Erfolge feiern konnte als zum Beispiel Anni Albers oder Gunta Stölzl. Sie erhielt für ihren Wandbehang “Die Liegende” eine Silbermedaille bei der in 1928 stattfindenden Ausstellung “Deutsche Kunst” im Kunstpalast Düsseldorf. Ende 1929 nahm sie an der Ausstellung “Moderne Bildwirkereien” teil, die von dem Galeriedirektor und Kunsthistoriker Ludwig Grote im Kunstverein Dessau mit dem Zweck, “die Bildwirkereien aus ihrer Verbannung ins Kunstgewerbe herauszuführen”, organisiert wurde. Anschliessend wanderte diese Ausstellung durch neun deutsche Städte. Hier hingen Teppiche von Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Hans Arp, Wenzel Hablik, Anni Albers und Gunta Stölzl. Auf Ludwig Grote machte die Arbeit von Johanna Schütz-Wolff den stärksten künstlerischen Eindruck. Ihr Männerakt wurde eine Sensation!
Er zeigt die Ideen der Künstlerin zur Bildweberei, gewebt in einer offenen Webart, wobei Kette und Schuss zu sehen sind und die stark abstrahierte Figur in handgesponnener und pflanzengefärbter Wolle erscheint. Als Bindung setzte sie lediglich die Leinwand und die Köperbindung ein und benutzte keinen Karton, lediglich eine Skizze mit den grossen Linien wurde unter die Kette des Flachwebstuhls gelegt. Halbgobelin wird diese Webart genannt. Die französische Gobelin-Technik wurde von Johanna Schütz-Wolff als “Bastard der Malerei” abgelehnt! Die neuen Stilmittel, Öffnung der Kette und Sichtbarmachung der Durchkreuzung des Webaktes, wurden von der Künstlerin eindrucksvoll eingesetzt. Diese Materialgerechtigkeit und Werktreue sind Gedanken, die gleichermaßen am Bauhaus in Dessau wie an der Kunstgewerbeschule in Halle galten, wo Johanna Schütz-Wolff von 1920 bis 1925 die Textilklasse übernahm und die Weberei-Abteilung aufbaute. Beide Ausbildungsstätten gehörten zu den besten des Landes. Das Bauhaus betonte die Zusammenführung von Kunst und Handwerk für Architektur und Industrie, die Burg Giebichenstein eher die Integration von Handwerk und Kunst im Sinne des Deutschen Werkbundes (die Form folgt der Funktion). Das Bauhaus wurde aufgelöst, weil es den braunen Machthabern zu fortschrittlich war. Die Burg Giebichenstein blieb bestehen, wurde aber stark beschnitten und versank( bis zum Fall der Mauer) nach und nach in der Vergessenheit. Zwar waren auch in der Nachkriegszeit grossartige Künstler dort aktiv, jedoch für Westdeutschland konnte in dieser Zeit nichts, was aus der DDR kam, von Bedeutung sein.
Anni Albers´ Erfolge kamen vor allem in den USA zum Tragen, wohl auch deshalb, weil ihr Mann ein bekannter Maler war. Gunta Stözl musste in die Schweiz ausweichen und fand nicht zu früheren Erfolgen zurück. Sie wurde erst viel später auch im Ausland wiederentdeckt und erlebt gerade jetzt eine Art zweite Wiederentdeckung auf internationaler Ebene, z.B. in den Sozialen Medien.
Johanna Schütz-Wolff wurde von den braunen Machthabern praktisch mit Berufsverbot belegt, denn sie erhielt ab 1933 keine Einladungen zur Teilnahme an Ausstellungen mehr. Es gab keine Ankäufe, und bei Beteiligung an Wettbewerben wurde sie, die früher so erfolgreich war, übergangen. Auch durfte die damalige “Reichsfachschaftsleiterin”, die Weberin Alen Müller-Hellwig, ihr keine Materialien mehr zuteilen. Was missfiel den Nazis an ihrer Arbeit? Hierzu muss man wissen, dass diese Machthaber (wie wohl in allen totalitären Regimen) ein sehr eingeschränktes Verständnis von Kunst hatten, das sehr konservativ war. Die Arbeiten von Johanna Schütz-Wolff wurden als “gewollte Primitivität” missverstanden und abgelehnt. Sie ärgerte sich über den Kitsch dieser Zeit: “Oh diese Unwissenheit, dieser Dilettantismus, dieser Unverstand”. Als dann das Buch “Der Antichristus” ihres Mannes verboten wurde und eine Hausdurchsuchung anstand, zerschnitt und verbrannte Johanna Schütz-Wolff 13 ihrer frühen Wandteppiche, die einen wesentlichen Teil ihres Werkes ausmachten. Dass ihre Angst nicht unbegründet war, zeigte sich als in 1937 im Museum Magdeburg ihr “Teppich mit 9 Feldern” als entartet beschlagnahmt wurde. Es blieb ihr praktisch nur die Kirche als Auftraggeber. In beengten häuslichen Räumen, ohne richtiges Material, erstellte sie trotzdem Werke wie “Trost des Engels”, eine grossformatige Arbeit, die nichts ahnen lässt vom Mühsal seines Entstehens.
Nach dem Krieg fand Johanna Schütz-Wolff wieder Anerkennung und schuf mehrere grosse Auftragsarbeiten in Textil (“Frau vor Landschaft”) aber auch in Metall als Wandobjekt für die Landesgartenschau in Hamburg. Auf internationaler Ebene war sie jedoch nicht angekommen. Hierzu schrieb die Kunsthistorikerin Eva Mahn in ihrem Artikel in Textilforum 2/1996 zur Ausstellung zum 100. Geburtstag von Johanna Schütz-Wolff von “Bauhauszentrismus und Konzentration auf Konstruktivismus und abstrakte Malerei” und “Obwohl sie nach dem Krieg noch zahlreiche quailtätsvolle Teppiche geschaffen hat, gehört Johanna Schütz-Wolff zu der vergessenen Generation”.
Es heisst, dass der Ruhm für Textilkünstler erst 50 Jahre nach ihrem Tod beginnt, was dann gerade richtig käme, denn diese Ausstellung entstand anlässlich des 50. Todestag der Künstlerin und des 100. Jahrestages der Entstehung der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Gezeigt werden etwa 20 grossformatige Wandteppiche in Kombination mit ausgewählten grafischen Arbeiten sowie baugebundene Projekte. Die Ausstellung ist sehr sorgältig gemacht, und ich möchte jedem raten, die Chance wahrzunehmen, diese grossartige Ausstellung noch zu sehen (bis 20. September 2015). Eine Enttäuschung war die Tatsache, dass es keinen neuen Katalog gibt und man sich somit mit der sehr gut gemachten Publikation von 1996 behelfen muss. (Johanna Schütz-Wolff, Textil und Grafik zum 100. Geburtstag; herausgeber Staatliche Galerie Moritzburg, 1996, 135 Seiten, 55 Schwarz-weiss und 58 Farbabbildungen, ISBN 3-86105-131-1, Sprache deutsch www.burg-halle.de). Dieser Katalog ist beim Grassi Museum für Angewandte Kunst à 30 Euro erhältlich.
Als Schlussbemerkung frage ich mich, was wohl aus der deutschen und der internationalen Textilkunst geworden wäre, wenn es das “Tausendjährige Reich” nicht gegeben hätte. Erst in den 60er Jahren kehren die neuen Webprinzipien von damals wieder zurück, und zwar in den USA: Dass der Künstler selbst webt, dass die Arbeit Material- und Werkgerecht sein sollte, dazu die Kraft des Experiments und der abstrahierten Gestaltung. Dies gilt heute als der Beginn der Weberei als eigenständiger Kunstform. Dabei hat es vergessene Vorläufer gegeben, Johanna Schütz-Wolff war wohl eine der Wichtigsten davon!
Beatrijs Sterk, Hannover 30 August 2015
Alle Austellungs-und Detail-Fotos sind von Beatrijs Sterk aufgenommen; die Gesamtaufnahmen sind Pressefotos!