Am 22. Februar hatte ich diese Ausstellung, die vom 28.1. bis 7.5.2017 im Turner Contemporary in Margate, Kent, stattfindet, angekündigt. Der Besuch zur Osterzeit war eine sehr positive Erfahrung. Das Museum, das von David Chippenfield entworfen und 2011 eröffnet wurde, bildet das kulturelle Highlight des kleinen Badeortes Margate. Diese international sehr beachtete Ausstellung, wurde von den Einheimischen sehr gut besucht, weitere Ausländer sahen wir jedoch nirgends.
Die Ausstellungsmacherinnen sind dem Aspekt des Umgangs mit vor allem textilem Material nachgegangen. Man hielt Ausschau nach Künstlern, die mit textilverwandtem Material arbeiten und zu Unrecht noch nicht genügend Bekanntheit erlangt hatten. Viele der ausgestellten Künstler waren zuvor auf den Biennalen von Venedig, der Documenta in Kassel und bei anderen großen Kunstbiennalen zu sehen. Auf diese Weise blieb man bei der Suche doch sehr dicht an der Kunstszene.
Als die erste Vorschlagsliste entstand, war sie ausnahmslos mit Frauen besetzt, was dann nachträglich zum Prinzip gemacht wurde. „Frauen beschäftigen sich sehr aktiv mit textilen Materialien (women are very actively engaged in the use of materials, in particular textiles and threads)“ so die Begründung der Museumsdirektorin Victoria Pomery im Katalog. Dort ist ebenfalls die Aussage von Eva Hesse „Excellence has no sex“ zu lesen. Der von den Organisatorinnen befürchtete Protest der Teilnehmerinnen, blieb jedoch aus.
Im Vergleich zu den Ausstellungen Kunst & Textil der letzten Jahre hatte hier die Ausrichtung auf das Gestalten und das Material zu mehr arbeitsintensiven und meditativen Techniken geführt. Diese seien, so die Organisatoren, vermehrt in den skandinavischen Ländern anzutreffen, die deshalb verhältnismäßig oft vertreten waren. Von den 44 Künstler/ Künstlerpaaren stammten 30 aus Europa, davon 7 aus Island und Norwegen, 8 aus Großbritannien und je 4 aus Frankreich und Deutschland. Weitere 8 Künstlerinnen kamen aus den USA, 3 aus Südamerika, 2 aus Nordafrika und eine aus Japan. Interessanterweise waren nur 17 Teilnehmerinnen jünger als 50 Jahren.
Die Auswahl schien mir ohne die üblichen Scheuklappen der (männlichen) Kunstkuratoren getroffen zu sein, was dazu führte, dass die Besucher neben den sehr bekannten Namen auch richtige Entdeckungen machen konnten (für mich waren das Christiane Löhr, Rivane Neuenschwander und Arna Óttarsdóttir).
Natürlich war dies eine Kunstausstellung und keine Textilausstellung, jedoch eine mit viel Handwerk, oft gut aber manchmal auch miserabel ausgeführt. Wie so oft beinahe ohne Teilnehmer aus dem eigentlichen Bereich der Textilkunst. Einige löbliche Ausnahmen gab es doch: Maureen Hodge, die ehemalige Leiterin der Tapisserie-Abteilung des Edinburgh College of Art und ihre ehemalige Studentin Anna Ray waren sehr prominent in dieser Ausstellung platziert. Außer den berühmten älteren Namen wie Hannah Ryggen, Anni Albers, Sonia Delaunay und Sheila Hicks war lediglich Hrafnhildur Arnadóttir mir als Textilkünstlerin bekannt. Sie hatte 2011 den Nordic Award in Textile erhalten, zur Zeit den höchstdotierten Preis für Textil in der Welt. Textilen Hintergrund hatte ebenfalls die Norwegerin Ann Cathryn November Høibo. Es stimmt also noch immer, was Joanna Mattera, die ehemalige Redakteurin von Fiberarts schrieb: Don´t shoot the messenger, but it is pretty obvious to me that … the „fiber“ or „textile“ adjective is nowhere connected to artists who have broad art-world careers ( Bitte nicht den Überbringer der schlechten Nachricht erschlagen, aber es ist mir ziemlich klar, dass das Adjektiv „textil“ nirgends mit Künstlern, die ihren Weg in der internationalen Kunstwelt gemacht haben, verbunden ist)1).
Dass auch die hier vertretenen Künstlerinnen unter Vorurteilen zu leiden hatten, hörte man im Begleitfilm, in der von den Macherinnen zurecht betont wurde, dass es ihnen nicht um das Handwerk, sondern immer um den Ausdruck von Ideen und Gefühlen ginge!
Ein großes Verdienst dieser Ausstellung, in der großformatige Skulpturen den Ton angaben, war es, dass etwa 10 Arbeiten an Ort und Stelle angefertigt werden konnten – so wie die großen Auftragsinstallationen von Kashif Nadim Chaudry , Anna Ray und Paola Anziché, die teilweise mit vielen örtlichen Helfern angefertigt wurden. Auch die feinsinnige Säule aus Pferdehaar von Christiane Löhr entstand aus Pferdehaaren aus den Ställen der Umgebung von Margate!
Weitere markanten Skulpturen waren die von Phyllida Barlow, Akiko Tezuko, Karla Black, Sheila Hicks sowie Annette Messager. Und natürlich war es toll, die Arbeiten von Eva Hesse sehen zu können, die ich bislang noch nicht in recente Kunst & Textil Ausstellungen gesehen hatte.
Was die traditionellen Techniken betraf, so waren die Weberei und die Stickerei gut vertreten. Webereien gab es von der älteren wie von der jüngeren Generation: Hannah Ryggen, Anni Albers, Maureen Hodge, Kiki Smith, Mona Hatoum, Regine Bogat, Ann Cathryn November Høibo und Arna Óttarsdóttir. Hergestellt in handwerklichen Werkstätten waren die Arbeiten von Kiki Smith und Mona Hatoum, was leider nicht thematisiert wurde. Seit der Befreiung der Textilkunst in den 60er und 70er Jahren während der Lausanner Biennalen gilt das selber Hand anlegen als äußerst wichtig, nicht so jedoch in der Welt der bildenden Kunst, wo Webereien in Serien, z.B. in der Werkstatt „Flanders Tapestries“ der Brüder De Keukelaere hergestellt werden, um als „multiples“ verkauft zu werden. Je weiter die Kluft zwischen Entwurf und Ausführung desto problematischer wird das Ergebnis sein. In der Ausstellung insgesamt war aber sehr viel selbst von Hand gemacht, lediglich die portugiesische Künstlerin Joanna Vasconcelos hat eine „Kunstfabrik“ mit vielen Helfern, wie es in der Bildenden Kunst öfter vorkommt.
Die gestickten Arbeiten, die wohl zumeist selbst gemacht waren, stammten von Geta Brătescu, Maria Roosen, Rivane Neuenschwander, Ghada Amer, Tatiana Trouvé, Sidal Paaske und Anna Ray. Stickereien sind auch in den Ausstellungen der Textilkunst sehr oft zu sehen, weil sich in dieser Technik die Gefühle der Künstler besonders gut ausdrucken lassen.
Insgesamt zeigt diese Ausstellung eine erfreuliche neue Entwicklung in der Reihe der Ausstellungen Kunst & Textil dar. Bislang wurden hauptsächlich ältere bekannte Namen von Textilkünstlern gezeigt neben jüngere Künstlern aus dem Dunstkreis der Kunstszene, die textiles Material einsetzen (u.a. „Decorum“, 2013/2014 im Musée d’Art moderne,Paris; „Kunst & Textil“, 2014/2015 in Wolfsburg und Stuttgart siehe Blog-Einträge vom 25.12.2013), gefolgt von Ausstellungen, die solche bekannten Namen der Textilkunst als Wiederentdeckung feierten (wie „Tapisserie Nomades“ und „The Textile Room“, beide 2016, sowie neue Einzelausstellungen von Frida Hansen, Hannah Ryggen, Sheila Hicks und Françoise Grossen, alle hier im Blog besprochen und unter dem jeweiligen Stichwort zu finden).
Hier in Margate fand eine echte Auseinandersetzung mit Fragen nach dem textilen Material statt, warum Frauen so häufig damit umgehen und wie man die Anerkennung für diese weiblichen Künstlerinnen, die mit Textil arbeiten, erhöhen könnte, respektive warum sie so oft übersehen worden sind.
Dieses Thema der Nichtbeachtung der Textilkunst hatte auch schon die Ausstellung „Fiber:Sculpture:1960-Present“ (siehe Blog post vom 11. Jan. 2015) aufgegriffen. Für mich ist es kein Zufall, dass die Ausstellungsmacher auch damals Frauen waren. Wenn diese Entwicklung weitergeht, wäre es wichtig, dass mehr textiler Sachverstand einbezogen wird. Auf jeden Fall ist eine echte Auseinandersetzung mit der textilen Kunst positiv zu sehen. Es hätte auch passieren können, dass die Launen der Kunstwelt plötzlich anderweitig neue Anleihen, z.B. bei „outsider art“, machen, um mehr Sensibilität und Lebendigkeit zu erreichen. Denn das war die allgemeine Aussage der Kuratoren, weshalb sie Textil in ihre Ausstellungen aufnahmen: die Entsinnlichung unserer digitalen Welt lässt einen Hunger nach sinnlichen Erfahrungen aufkommen.
Der Katalog zeigt 12 Artikel über die Kunst von Frauen im allgemein und beschreibt einen Teil der Künstlerinnen und deren Arbeiten in der Ausstellung. Die Texte sind zwar etwas akademisch angehaucht, geben aber einen tieferen Einblick in die Neupositionierung von auf Handwerk und Material basierender Kunst von Frauen! In Bezug auf feministische Standpunkte sind uns die Engländer immer um eine Nasenlänge voraus. Der Katalog hat den gleichen Titel wie die Ausstellung mit Karen Wright als verantwortliche Redakteurin. Die Publikation umfasst 152 Seiten und kostet 18 GBP. Näheres auf der Website des Museums: www.turnercontemporary.org
1). Artikel van Joanne Mattera „Fiber,Fiber Everywhere“, Surface Design Journal, autumn 2013.