Hannah Ryggen – Gewebte Manifeste Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 26. September 2019 bis 12. Januar 2020
Anläßlich der Frankfurter Buchmesse mit Norwegen als Gastland zeigte die Kunsthalle Schirn erstmals eine umfassende Ausstellung dieser schwedisch-norwegischen Künstlerin (1894 -1970), die in Malmö als Hannah Jönsson geboren wurde. Bereits auf der Documenta 2012 waren mehrere ihrer Teppiche zu sehen – eine Ehre, die nur wenigen Künstlern zuteil wird, und noch seltener einer Webkünstlerin!
Hannah Ryggen war als Malerin ausgebildet, gab das Medium aber zugunsten großformatiger figurativer Tapisserien ab 1923 auf.
Trotz ihrer Vorbildung malte sie niemals Kartons für ihre Tapisserien, sondern wob sie immer ohne Karton. In den 50er und 60er Jahren genoss sie große Bekanntheit in Skandinavien, sowohl in Norwegen, wo sie wegen ihres Mannes, dem Maler Hans Ryggen, 1924 hingezogen war, wie auch in ganz Skandinavien. Nach ihrem Tod 1970 wurde sie dann jedoch mehr und mehr dem Kunsthandwerk zugeordnet, was weder ihrem Selbstverständnis noch der kunsthistorischen Bedeutung ihres Schaffens gerecht wird.
Das Weben erlaubte ihr in die Arena der Monumentalmalerei einzutreten und sich von der damals vorherrschenden herablassenden Betrachtung weiblicher Malerei zu befreien. Sie wollte die Freiheit haben, jedes Thema zu behandeln, auch politische Themen, die ihr sehr am Herzen lagen. Eine ihrer Tapisserien, ausgestellt im norwegischen Pavillion der Pariser Weltausstellung 1937, unterlag sogar der Zensur: in “Etiopia” (1935) prangerte sie die Besetzung Äthiopiens an doch der Teil des Teppichs, der zeigt wie Mussolinis Kopf von einem äthiopischen Krieger durchbohrt wird, wurde eingerollt. Die Organisatoren fürchteten, die italienische Staatsmacht zu beleidigen!
Hannah Ryggen zeigte grundlegende Themen des Menschseins und des Lebens in der Gesellschaft: die Gräuel des Krieges, den Missbrauch von Macht, die Abhängigkeit von der Natur und die Verbindungen zur Familie und Mitmenschen. Viele ihrer Arbeiten befassen sich mit den Ereignissen und politischen Auseinandersetzungen im Europa der 30er und 40er Jahre und spiegeln zugleich die sozialistische Überzeugung der Künstlerin wider. Von ihrem kleinen Bauernhof an der Westküste Norwegens, wo sie selbst Schafe züchtete und ihre Farben aus Pflanzen herstellte, meldete sie sich zu Wort – auch nach dem zweiten Weltkrieg, zu Themen wie der deutschen Wiederbewaffnung, der atomaren Aufrüstung oder des Vietnamkriegs. In unserer Gegenwart, die von zunehmender Ungleichheit, Nationalismus und Populismus geprägt ist, erscheint ihre kompromisslose Arbeit sehr aktuell und wird von den Ausstellungsmachern als ein Aufruf gesehen, sich für die Prinzipien des Humanismus einzusetzen.
Hannah Ryggen wird erst in den letzten Jahren richtig international anerkannt. Nach der Documenta in Kassel 2012 wurden ihre Arbeiten 2015 im Nationalmuseum Oslo ausgestellt, anschliessend 2015/2016 im Museum für Zeitgenössische Kunst in Malmö, dann von 2017 bis Februar 2018 im Modern Art Oxford und schließlich in der hier beschriebenen Frankfurter Übersichtsausstellung. Nach der Wiederentdeckung von Anni Albers ist dies eines der positiven Ergebnisse bei der Wiederentdeckung von Textil in der Kunst und des Textilen im Allgemeinen.
View at the exhibition “Hannah Ryggen- Woven Manifesto” with visitor in front of ” We Are Living On a Star”; photo Beatrijs Sterk