„Zeit Vermessen“, eine Ausstellung von Gertraude Pohl

Gertraude Pohl: “Indigo. Magic”, 60 x 80 cm, 2020; collage on wood, handmade paper, painted; photo Beatrijs Sterk

„Zeit Vermessen“, eine Ausstellung von Gertraude Pohl & Ade Frey im Ratskeller- Galerie für Zeitgenössische Kunst Berlin Lichtenberg von 17.3 bis 14.5.2021.

Am 7.5.2021 mitten im Lockdown, durfte ich diese Ausstellung mit  Gertraude Pohl besuchen, eine Ausstellung die mehr als 6 Monaten bereit stand, die aber leider nur während 3 Wochen für das Publikum offen sein konnte!

Mein Blog handelt von textile Kunst, deshalb erwähne ich hier nur Gertraude Pohl, die als einer der bekanntesten Textilkünstler, oder besser „Künstler der Angewandte Kunst“ der ehemalige DDR galt. Dietmar Laue und ich haben in mehreren Textilforum-Heften ihre Arbeit vorgestellt (zuerst in das “DDR-Heft” 2/87, dann aber auch das Titelbild von TF1/06 sowie ein Artikel über ihre architekturbezogene Arbeiten in TF 2/06 Seite20-21).

Sie hat ein extreme Wendezeit erlebt, wo so gut wie alle ihrer Großaufträge öffentlich demoliert wurden, wie zum Beispiel ihre großartige Patchwork-ähnliche Marmorfußboden im Palast der Republik. Oder die Arbeiten verschwanden still und heimlich, wie ihre eindrucksvollen Wandteppiche für das Schinkelinterieur im Denkmal Friedrichwerdersche Kirche, die gleich zweimal abgehangen wurden. Schon bei der Eröffnung, weil Honecker zuviel an die amerikanische Stars und Stripes erinnerten, und wobei sich die neuen Verwalter-West gar keinen modernen Teppich in einem Schinkelbau vorstellen konnten!

Ich erwartete ihre witzige Bilder, Objekten und Installationen, die sie in Auseinandersetzung mit den Ereignisse der Wendezeit gestaltet hatte, und war ganz überrascht als ich außerdem eine ganze reihe neue Materialbilder (verschiedene geschöpfte und bemalte Papiere, Collagen auf Holz) aus der allerjüngsten Zeit vorfand, von 2019 und 2020. Die Anregung hierzu war eine Reise nach Marokko, ein Land das sie zum ersten Mal kennenlernte.

Gertraude Pohl ist jetzt 80 Jahren alt, alt wie Methusalem sagt sie selbst, und produziert doch in kurze Zeit eine Reihe von Bilder deren Farbenpracht mich als Betrachterin stark anregen und berühren. Jedes Einzelne dieser Bilder ist wie ein textiler Entwurf, sei es für Weberei, für Stickerei oder für Patchwork. Sie selbst beschreibt diese Farbenpracht noch viel besser mit ihren Worten:

“Die unvergleichlichen Farben Blau – intensives Indigo und Ultramarin, Türkis und Kobalt, aufflammend und dominant, wenn die Farbe Wände und Wege samt Treppen und Türen bedeckt. Von Sonne und Wind gegerbt in den Stadien des Vergehens. Zuweilen mag es im Blau vereint sein, das Glück von Himmel und Erde und Ozean”

“Ich nenne die rote Erde mit einem Stich ins Lachsfarbene oder Rotviolette, die sich als natürlicher Farbkanon vom Boden auf die Mauern und Wände überträgt und ganze Lebensräume ihre vielfach modulierte Harmonie verleiht. Wie Samt und Seide im wechselnden Licht”

Aus dem Arbeitsheft Nr.3 „BERBERBRAUN. HORIZONTE –Konturen und Zeichen”, herausgegeben von Atelier Pohl Berlin zusammen mit der Galerie für zeitgenössischen Kunst im Ratskeller Berlin Lichtenberg. Erhältlich über info@atelier-pohl-berlin.de

Im Hauptraum der Ausstellung sieht man einen Foliendruck mit einem Ausschnitt des Marmorfußbodens von Palast der Republik mit 18 darauf montierten Bilder und Objekten. Darunter Alltagsobjekten wie eine Küchenuhr und einem Waschbrett sowie Handsiebdrucke der Reihen “Texte auf Tüten” aus 2010, Stücke aus den Serien “Geld”(1990) und “Politische Perlen” (2020) sowie Collagen aus Holz. Das ganze eine witzige aber auch bittere Anklage gegen Dummheit und Blindheit.

Zwei Arbeiten in dieser Ausstellung verweisen auf die früheren Arbeiten von Gertraude Pohl, erstens das Raumzeichen zum 100. Geburtstag von El Lissitsky aus Lackiertem Sperrholz aus dem Jahr 1990/91 und dann “ROT”, die große Applikationsarbiet aus Kunstseide aus 1995. Beide Arbeiten zeigen einen deutlichen Bezug zum Bauhaus, das in der DDR  eine wichtige Rolle spielte. In diesen Arbeiten erkenne ich den Geist dieser Künstlerin wieder, wie ich sie in 1984 in einer in Ostberliner Kunstgalerie kennen und schätzen lernte. Es muss damals einer meiner ersten Besuche als Journalistin für Textilforum in die DDR gewesen sein, wofür ich als Niederländerin die Genehmigung erhielt, wogegen Dietmar Laue -der aus Berlin stammte- diese Genehmigung verweigert wurde.

In einem Interview mit Sonya Schönberger für das Stadtmuseum Berlin sagt Gertraude Pohl einen bemerkenswerten Satz: ” ich habe es als Glück empfunden , das ich manchmal die Fähigkeit entwickelt habe, das (gemeint sind die politische Umbrüche) mit Abstand wahrzunehmen; das so wahrzunehmen das ich es Kommentieren konnte, obwohl das eigentlich nicht möglich ist in der Zeit in dem man es erlebt.” Das ist tatsächlich einer ihrer Fähigkeiten gewesen, die sie sowohl als Gestalterin wie auch als Mensch hatte. So machte sie mir und Dietmar Laue mit der DDR-Gestaltung vertraut. Wir waren damals die Ersten und wohl auch die Einzigen die über die DDR Textilgestaltung berichtet haben!

Das Interview ist zu sehen unter https://berliner-zimmer.net/interview/ch-brauche-kein-artefakt-vom-palast-der-republik-ich-bin-wahrscheinlich-selber-schon-ein-artefakt/

Näheres zur hier beschriebene Ausstellung ist zu finden Arbeitsheft Nr. 2 “Gertraude Pohl RÄUME. KRAFT UND  GRENZEN Installationen und Bilder. Ebenfalls erhältlich über info@atelier-pohl-berlin.de

Beatrijs Sterk
27 Mai 2021

Gertraude Pohl:”Red of the Earth”,60 x 80 cm, 2020;collage on wood, handmade paper, painted; photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl:” Berber Brown”, 60 x 80 cm, 2020;collage on wood, handmade paper, painted; photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl:”Horizons lll”, 25 x 25 cm, 2019;fiber board, handmade paper, painted; photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl:”Horizons lll”2019(left) with “Red of the Earth”2020; photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl:”Horizons lV”, 25 x 25 cm each, 2019; fiber board, handmade paper, painted; photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl: “Red Space”, 50 x 70 cm, 2020; collage on wood, handmade paper, painted; Photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl:”Magic Signs ll”,50 x 75 cm, 2019; collage on paper;Photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl:”Magic Signs l”,50 x 75 cm, 2019; collage on paper;Photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl at the main part of the exhibition, in front of her installation “Grosse Wanderung(Migration)”,each part 50 x 50 x 30 cm, 1996/2020; plastic braid, handmade paper, gold leaf; behind her “In the Time”, Wall with Objects, 2020 Photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl: “In the Time”, Wall with Objects, 2020; foil print with a section of the marble floor of the Palace of the Republic with 18 pictures and objects; photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl: “Note, Note” from the MONEY Series,70 x 50 cm,1990; sewn graphic, collage, paper, shredder paper, fabrics, gauze; Photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl:” Cicle Dance”, 40 x 40 cm, 2020, assemblage, paper, cord buttons on wood; photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl: “Red”,200 x 200cm, 1995, Wallhanging, appliqué ,sewn, artificial silk; Photo Beatrijs Sterk
Gertraude Pohl: “Red”,detail, 200 x 200cm, 1995, Wallhanging, appliqué, sewn, artificial silk; Photo Beatrijs Sterk