Die Arbeiten von Veronika Moos, Ausstellung „Signaturen im Raum“ von 2. bis 29 . August 2021 im Schloss Landestrost, Schlossstrasse 1, 31535 Neustadt
Veronika Moos ist eine Bildhauerin mit einer großen Vorliebe für Textil, wobei nicht das Material im Vordergrund steht sondern vielmehr die Verfahrensweise als ‘Geste der Raumbildung’. Sie verweist dabei gern auf den Architekten Gottfried Semper (1803-1879), der Textil als den Anfang aller Architektur und Raumbildung ansah. In ihrer Arbeit mit Textil ist die Künstlerin sehr stark und gleichzeitig sensibel in ihrer Herangehensweise; es interessiert sie das Flüchtige, die verletzliche Seite und gleichzeitig die widerstandsfähigen Aspekte von Textil. Textil ist nie nur Material, immer ist die Weise des Zusammenfügens maßgebend, und das nimmt in der Kunst von Veronika Moos einen zentralen Platz ein. Ihre Arbeiten strahlen eine Selbstverständlichkeit und Sicherheit aus und wirken wunderbar mühelos.
Ein Teil ihrer Arbeit besteht aus Land Art, die sie allein oder mit einer Gruppe gestaltet und deren Ergebnisse leicht wie Federn sind, ein Material, das immer wieder Verwendung findet. Sie spricht von realisierten Utopien, die für sie kurze flüchtige Glücksmomente sind, in denen die Zusammenarbeit mit anderen oder mit der Umwelt (Wind, Licht,Strömung) eine fast magische Form angenommen hat.
Während ihres Kunststudiums bei Professorin Elfi Knoche-Wendel, einer bekannten Textilkünstlerin, hatte sie das Glück, viele unterschiedliche textile Techniken lernen zu können. Diese oft zeitaufwendigen Techniken setzt sie als Kontextwechsel in ihren Arbeiten ein, sodass ein Wechsel des Blickwinkels und vielleicht auch ein loslösen unserer Subjektivität gelingt ,zum Beispiel von der Gegenwart in die Vergangenheit (Mittelalter) oder von unserer Kultur in die eines anderen Landes (Japan). Noch ein weiteres Thema interessiert die Künstlerin, nämlich das der Soziale Plastik nach Joseph Beuys, d.h. die Annahme, da durch gemeinsamen Handeln Kunst entsteht. In diesem Zusammenhang spielt die Pflanze Flachs für sie eine wichtige Rolle: Das Projekt ‘Die Blaue Blume’ zeigt beispielhaft, was sie unter einer sozialen Plastik versteht.
Land Art
Bei der Land Art fliegen Veronika Moos alle Begrenzungen von Atelierwände davon und breiten ihre Flügel aus in der großen weiten Landschaft, wo das Meer und der Himmel sich begegnen und wo das Meer seine bizarren Schätze am Strand zurücklässt. Mit diesen Fundstücken erschafft sie – alleine oder mit Gruppen – luftige und poetische Gebilde. Diese Gebilde sind oft nur Linien im Sand, verknoteter Seetang oder manchmal große Flügel aus gefundenen Federn. Muschelskulpturen entstehen im Sand, die wie eine Schrift wirken, oder Gebilde aus angespültem Plastikmüll, die scheinbar Anklage erheben gegen unseren Umgang mit den Ozeanen. Auch solche Arbeiten bedienen sich bewusst einer poetischen Ästhetik. manchmal sind es auch Texten die Veronika Moos inspirativ begleiten und sie setzt sie in der Zusammenarbeit mit anderen als atmosphärische Bilder ein. „Meine Arbeit gibt Kraft“, sagt sie, und teilt diese Kraft gern in gemeinsamen Tun. Zu ihrer Motivation ergänzt sie: „Der Saum des Meeres zog mich als Ort der Weite, Ruhe und der kraftvollen Schönheit an“.
Wenn sie mit Gruppen arbeitet, erreicht sie diese Schönheit, indem sie die Voraussetzungen reduziert und zum Beispiel die Teilnehmer bittet, sich nur auf eine Farbe zu konzentrieren.
Die Titel dieser Arbeiten deuten auf deren flüchtige Schönheit: ‘Wimpernschlag’, ‘Abendfedern’, ‘Im Weiten Raum’, ‘Abendlicht bei Flut’, ‘Windige Ebbe am Vormittag’, um nur einige zu nennen.
Veronika Moos bewohnt seit einiger Zeit eine Wassermühle und hat dadurch ihre Arbeit am Rande des Wassers um eine Serie ‘Auf dem Wasser’ erweitert. Die Bewegung des Wassers fasziniert sie, vor allem die von Blättern oder anderen Dingen bewegte Oberfläche. In der Arbeit ‘High Tide – Low Tide’ ist es die Gischt, die auf dem Meereswasser schwimmt mit sich ständig bewegenden Schaumkronen wie ein marmorierter Teppich, der sich andauernd verändert. Diese Bewegung projiziert sie in einer Installation an die Wand , davor ist eine Acrylplatte platziert. Eine Filmsequenz ist in der Acrylplatte festgehalten. Dazu wurde die Platte gelocht und mit Papiergarn bestickt. Wenn jetzt der Film durch die Acrylplatte gezeigt wird, gibt es eine bestimmte Stelle, wo die Filmsequenz und die Stickerei identisch sind, ein magischer Moment – wenn man ihn findet – oder ein währendes suchen.
Kontextwechsel
Zu dieser Gruppe von Arbeiten gehören zum Beispiel die ‘Hommage an die Goldspinnerinnen von Köln’ sowie der Werkzyklus ‘Adonis Gärtchen’, deren einzelnen Elementen über zehn Jahre hinweg zu einem begehbarem Raum wuchsen.
Beide Arbeiten haben mit textilen Techniken zu tun, erstere mit Umwickeln und letztere mit der japanischen Shibori-Technik.
Das Spinnen von Goldfäden war im Spätmittelalter in Köln ein ausschließlich von Frauen betriebenes Gewerbe zum Herstellen von Brokatgold. Mit Goldlahn (Metallfäden aus Gold, Silber, versilbertem Kupfer oder Blattgold auf Lederhäutchen) wurde eine Seele aus Seide, Leinen oder Baumwolle umwickelt und so ein goldenes Garn produziert, das in der Wappen- und Bortenstickerei sowie in der Seidenweberei verarbeitet wurde. Diesen Faden nimmt Veronika Moos auf, sie umwickelt eine ‘Seele’ mit Metallgarn, bildet archaisch anmutende Formen und fügt diesen einen Hauch von Gold hinzu.
Das Wickeln spielte ebenfalls eine große Rolle bei der Shibori-Technik der ‘Adonis Gärtchens’, dabei handelt es sich um ein Reserve-Färbe-Verfahren, wobei Teile des Stoffes umwickelt werden, damit diese im Farbbad nicht mit gefärbt werden.
Die Künstlerin fasst dieses Tun unter dem Begriff ‘Gestalten durch Widerstand’ zusammen und sagt, dass sie sich bei aller Fremdheit der japanischen Kultur bei den textilen Techniken Japans zuhause gefühlt hat, mehr zuhause als in ihre eigene kulturelle Heimat. Dabei haben sie insbesondere die Wiederholungen fasziniert, sie nennt das ‘Die Kunst der langen Übung’: Die Frage der Zeit, die Dauer des Tuns und die Wiederholung. Sie meint, dass sich im Wiederholen etwas Eigenes ausdrückt. In Japan wird das fortgesetzte Wiederholen vom Zen-Meister so lange gelernt, bis sich darin das Ureigenste ausdrückt. Diese Freude an der Wiederholung, bis es einem in Fleisch und Blut übergegangen ist, ist im Zenbuddhismus ein Element, um zu einem ausgeglichenen und glücklichen Zustand zu gelangen.
Soziale Plastik
Veronika Moos sagt, dass sie das Textile als Sinnbild einsetzt. Sie erforscht dabei Gestaltformen, kulturgeschichtliche Bedeutungen und symbolische Transformationen von textilem Material mit verwandten Texturen der Erde, Prozessen der Natur, des Menschen und der Zeit. Solche Vorgänge, die Erde, Menschen und Zeit einschließen, nennt sie ‘Soziale Plastik’.
Ein gutes Beispiel ist ‘Die Blaue Blume – das Leinprojekt’, eine Kombination aus sozialer Utopie, Land Art, internationalem Dialog, Fasergewinnung und künstlerischer Spurensuche. Das Leinprojekt zeigt, wie sehr die Künstlerin von der Flachsplanze – Lein (lat. Linum) oder auch Flachs genannt – fasziniert ist. Der Titel ‘Die Blaue Blume’ stammt aus einem Gedicht aus der Zeit der Romantik von Joseph von Eichendorff:
Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.
Im übertragenen Sinne handelt dieses Gedicht von der Sehnsucht nach Einheit von Realität und Traumwelt, was übereinstimmt mit dem Wunsch der Künstlerin nach kurzen, aber realen „goldene Momenten“. So beinhaltet die Flachspflanze alles, was sie an ihrer Arbeit interessiert. Da ist zunächst die fantastisch blaue Blüte, deren Farbe sie versucht hat durch Trocknen festzuhalten. Dann die Pflanze selbst, die eine aufstrebende Architektur hat, und deren Fasern nur durch harte Arbeit zu gewinnen sind, ganz nachhaltig und ohne Chemie. Es gibt in der Flachsverarbeitung dieses gemeinsame Element. Man gewinnt Fasern im gemeinsamen raufen, das heißt die Pflanzen mit den Wurzeln in kleinen Bündeln aus der Erde heraus zu ziehen, um möglichst lange Stängelfasern für den Faseraufschluss zu erhalten.
Das gemeinsame Projekt begann durch ein Aufruf der Künstlerin, wer ein Stück Erde zur Verfügung stellen kann, um ein kleines Stück davon mit Lein zu bepflanzen. Schließlich gab es acht Gärten europaweit, in denen die blauen Blüten geblüht haben, ein flüchtiger Hauch von ‘Garten Eden’. Die Künstlerin ist fasziniert von dem historischen Potential der Flachspflanze zur Gestaltung von Gemeinschaft und Landschaft. Es berührt sie, wie Textil und Natur die Menschheitsgeschichte begleitet haben.
Auch wenn das Gestalten von Gemeinschaft und Landschaft durch Lein heute beinahe ganz verloren gegangen ist, es bleibt unsere Kraft und Fähigkeit Räume zu ‘bekleiden’. Mittlerweile ist aus den organischen Archiven aus unterschiedlichsten Gärten eine raumgreifende ‘Soziale Plastik’ entstanden.
Um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: „Wir brauchen Raum, der als solcher nicht existiert, sondern durch unser symbolisches Bekleiden entsteht und Identität gibt. Meine künstlerische Ideenwelt bleibt durchdrungen davon, ästhetische, sinnliche Räume zu schaffen, behutsame Hüllen, die eine Verbindung zwischen mir und der Welt bilden, ein Innehalten, Offenheit und Spüren zulassen, indem sie berühren, anbinden, einbinden, bergen und ehren. So klingt zuletzt in meinem künstlerischen Tun auch immer wieder eine Aufforderung zur Erhaltung der Schöpfung als deutliches politisches Statement mit hinein“.
Beatrijs Sterk
Dieser Artikel wird in Textilkunst 3/2021 erscheinen!