Louise Bourgeois: The Woven Child
Ausstellung vom 22. Juli bis 23. Oktober im Gropiusbau Berlin
Dies ist die erste große Ausstellung, die sich ausschließlich mit den textilen Arbeiten von der Bildhauerin Louise Bourgeois beschäftigt. Erst im Alter von 80 Jahren begann die Künstlerin aus Kleidung und Haushaltstextilien Kunstwerke zu erschaffen, die zu ihren eindringlichsten und intimsten Werken werden sollten. Sie wollte hiermit die Vergangenheit sowohl bewahren als auch transformieren. Viele Werke davon sind im Gropiusbau zu sehen, zum Beispiel ihre “Cells”, ihre Textilköpfe, und die freistehenden Arbeiten “Pole Pieces”. Sie verarbeitete auf diese Weise Themen wie Körper, Erinnerung, Weiblichkeit, Trauma und Reparatur.
Aufgewachsen war Louise Bourgeois (1911-2010) in einer Familie, die sich mit dem Restaurieren alter Stoffe und Tapisserien beschäftigte. Zeitlebens hatte sie zu ihrem Vater ein sehr schlechtes Verhältnis. Der Vater betrog ihre Mutter lange Zeit mit dem englischen Kindermädchen und nahm auch kein Rücksicht auf seine Tochter, über die er sich lustig machte.
In einem Interview (in 3sat Kulturzeit, Dezember 2005) sagte die Künstlerin: “Ich habe zahlreiche Arbeiten zu dem Thema ‘The Destruction of the Father (Die Vernichtung des Vaters)’ gemacht. Ich vergebe nicht, und ich vergesse nicht. Das ist das Motto, das meine Arbeit nährt.”
Zu ihrer Mutter hatte Louise ein gutes Verhältnis. Sie beschreibt sie als die beste Freundin ihrer Kindheit. In ihren Kunstwerken wird sie durch eine Spinne symbolisiert, da sie eine Weberin war. Die Spinne wird von Louise Bourgeois gesehen als die wohlgesinnte Behüterin. Nach dem Tod der Mutter unternahm Bourgeois 1932 einen Suizidversuch.
Im Jahr 1938 ging sie nach New York mit ihrem Mann, der dort einen Lehrauftrag als Kunsthistoriker annahm. Louise setzte ihr in Paris angefangenes Kunststudium in den USA fort.
Bekannt wurde die Künstlerin erst spät in ihrem Leben. Das New Yorker Museum of Modern Art widmete ihr 1982 eine Retrospektive, da war sie 71 Jahre alt! 1992 war sie auf der Dokumenta in Kassel vertreten und 1993 auf der Biennale von Venedig. 2005 belegte sie im Kunstkompass den 5. Rang, und 2009, kurz vor ihrem Tod, war sie die erfolgreichste Frau im Ranking.
Die Rückkehr zu Textilien im Alter von 80 Jahren wird als Neubetrachtung der eigenen Vergangenheit angesehen. Die Materialien stammen häufig aus ihrem eigenen Haushalt und ihrer persönlichen Vergangenheit. Die Arbeiten erforschen sexuelle Mehrdeutigkeiten und schmerzliche psychische und soziale Beziehungen.
Die weichen Materialien, die ‘zweite Haut’ ihrer eigenen Kleidung, führten zu einer sinnlichen Qualität der Arbeiten und zu einer fast greifbaren Verletzlichkeit und Intimität. Das Schneiden, Reißen, Nähen und Zusammenfügen verband sie mit Vorstellungen von Wiedergutmachung und dem körperlichen Ausdruck seelischer Spannungen. Die Textilarbeiten laden dazu ein, die Bedeutung von ‘Ausbessern’ zu überdenken und als eine Art emotionaler Wiedergutmachung zu sehen.
Die ungefähr 60 Arbeiten der Gruppe “Cells (Zellen)” schuf Bourgeois ab dem Jahr 1991. Sie bestehen aus raumähnlichen Installationen mit persönlichen Gegenständen und skulpturalen Elementen, die so kombiniert sind, dass sie in sich geschlossene und mit Bedeutung aufgeladene Kompositionen ergeben. Die Zellen haben häufig Bezüge zur persönlichen Vergangenheit der Künstlerin.
In ihren Arbeiten “Pole Pieces (Polstücke)” werden Kleidungsstücke aus der Kindheit sowie Kleidung der Mutter verarbeitet. Für Bourgeois waren Kleidungsstücke so wichtig wie die Seiten ihres Tagebuchs. In einer solchen Skulptur von 1996 sind die Worte “Seamstress, Mistress, Distress, Stress (Näherin, Herrin, Verzweiflung, Stress) auf dem Sockel der Skulptur zu lesen, ein Verweis auf Bourgeois´ Familiengeschichte und deren seelische Folgen.
1998 begann Bourgeois ausgestopfte Textilköpfe herzustellen aus unterschiedlichen Textilen, Materialien wie Tuch, Baumwolldrillich, Petit-Point-Stickereien, Tapisserien, Handtücher und gemusterte Kleidungsstücke. Einige dieser Köpfe haben mehr als nur ein Gesicht und verweisen so auf das Nebeneinander widersprüchlicher oder zwiespältiger Gefühle und Haltungen. Einer dieser Köpfe heißt ‘Pierre’, nach ihrem Bruder, der 1945 in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen wurde. Ein fehlendes Ohr verweist auf den Mangel an Kommunikation zwischen den Geschwistern, der Kopf selbst wird gesehen als eine körperliche Darstellung einer seelischen Wiedergutmachung.
Die Spinne ist ein bekanntes Motiv bei Bourgeois, man denkt dabei vor allem an die großformatigen Bronzefiguren aus den 1990er und 2000er Jahren. Aber es gibt auch mit textilen Materialien bearbeitete Spinnen, wie “Spider” aus dem Jahr 1997: In diesem Fall umgreift die Spinne das Zellgehäuse, als ob sie ihr Netz schützen will. Die Zelle enthält ein mit Tapisseriestoff bezogenen Sessel sowie persönliche Gegenstände der Künstlerin. So entsteht eine Atmosphäre der Rückbesinnung und der verlorenen Zeit.
Ganz nahe an die Arbeiten von Textilkunst im klassischen Sinne kommt die Werkreihe der Stoffcollagen von 2006. Bourgeois hat dafür gestreifte und gemusterte Stoffstücke sowie Haushaltstextilien zerschnitten und zu ineinandergreifenden, manchmal konzentrischen Kreisen neu zusammengenäht. Die Kompositionen ähneln Spinnennetzen – ein Bild, das für Bourgeois “einen tröstlichen Zufluchtsort” darstellte und eine Metapher für ihren eigenen Schaffensprozess war.
Aber die größte Überraschung waren für mich die intimere kleine Textilbücher und Serien, wie „The Woven Child“, eine Serie von 6 Arbeiten aus gewebten Stoffstreifen aus 2003; sowie „Ode à L´oubli“ bestehend aus 30 Kunstwerke, 2004; dann „The Fragile“ 36 Digital- und Siebdruck auf Stoff mit handgenähte Ergänzungen aus 2007; und „Ode à La Biévre“, ein Stoffbuch mit 25 Seiten Digital und Siebdrucken, 2007 undschließlich „Eugénie Grandet“, 16 Teilen, 2009. Diese Werke sind so spielerisch und voller Fantasie daß mir das Herz aufging und ich Lust bekam mit eigene textile Erinnerungen herum zu spielen.
Diese Leichtigkeit bildet ein großer Kontrast zu den sonstige Inhalten, wovon Louise Bourgeois sagt “Es ist kein Bild, das ich suche. Keine Idee. Es ist ein Gefühl, das man wieder hervorrufen will, ein Gefühl des Wollens, Geben und Zerstörens“. Das gelingt ihr in großartiger Weise; ich fühlte mich ihr näher gekommen nachdem ich die Ausstellung gesehen hatte!
Beatrijs Sterk 30.9.2022