Anselm Kiefer „Bilderstreit“, Ausstellung vom 14. Oktober 2023 bis 25. Februar 2024 im Museum Voorlinden, Den Haag, Niederlande
Das private Voorlinden-Museum ist das niederländische Kunstmuseum, das ich am häufigsten besucht habe, da es immer hervorragende Ausstellungen über prominente Künstler bietet. Es liegt in einem großen Landschaftspark in der Nähe des Meeres. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, es mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus und einige Kilometer zu Fuß) zu erreichen.
Dieses Mal besuchte ich Anselms Kiefers „Bilderstreit“, was sich vielleicht auf den alten Kampf zwischen figurativer und abstrakter Malerei aus den 70er Jahren bezieht, aber eher auf Kiefers ständigen Kampf mit seiner eigenen Arbeit hinweist, die sich seiner Meinung nach, ständig verändert. Für ihn ist ein Kunstwerk nie fertig, er greift es mit Flammenwerfer, Bolzenschneider, Axt, Spachtel, glühend flüssigem Blei oder durch Eintauchen in ein Elektrolysebad an.
Kiefer mit seinen eigenen Worten: „Früher war ich immer verzweifelt darüber, dass ich kein „Meisterwerk“ schaffen konnte, ich dachte, es läge an mangelndem Talent, aber es ist ein Grundprinzip, das Ziel ist nicht das fertige Bild. Es ist vielmehr die Bewegung, der ständige Fluss, die nie endende Veränderung. Meine Bilder unterliegen einem wahren Prozess der Zerstörung: Ich verbrenne sie tatsächlich oder stelle sie nach draußen und setze sie verschiedenen Wetterbedingungen aus. Erst dann werden sie besonders, individuell.“
Warum zeige ich einen Maler in einem Blog über Textilkunst? Bei seiner letzten Ausstellung im Palazzo Ducale in Venedig (Biennale von Venedig 2022) hatte er einen so bemerkenswerten Einsatz von Materialien wie Einkaufswagen, Kleidung, Stroh, Holz und Techniken gezeigt, dass ich ihn als Inspiration für Textilkünstler betrachte.
In seiner niederländischen Einzelausstellung zeigte er Fahrräder, die auf vergrößerten Seiten seines Tagebuchs, aber auch als Skulpturen zu sehen waren. Weiter zu sehen waren verschiedene Arten von Fahrzeugen in „Monsalvat“ (Hinweis auf den Heiligen Gral) und ein Krankenhausbett in seiner Installation „Winterreise“ benannt nach einen Liederzyklus von Franz Schubert (der die Suche des Menschen nach sich selbst zum Ausdruck bringt).
Ich war überrascht und erfreut über Kiefers jüngste Verwendung von Farben, jetzt klares Blau und strahlendes Gold, wie in „Sichelschnitt“ und in „Aus Herzen und Hirnen sprießen die Halme der Nacht“ nach einem Gedicht von Paul Celan. Auch wenn diese riesigen Gemälde wunderschön aussehen, geht es doch wieder um den Tod und den Holocaust, ein immer wiederkehrendes Thema in seinem Werk.
Aber sein spektakulärstes Werk in dieser Ausstellung ist „Der Morgenthau-Plan“, ein ganzer Saal des Museums, der ein Weizenfeld zeigt, wobei jeder Weizenhalm aus mit Gips getränktem Stoff gefertigt, um Metall gewickelt, dann bemalt und mit Schellack und Gold veredelt wurde Blatt. Gemeint ist damit ein sehr umstrittener Plan des US-Finanzministers Henry Morgenthau, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Agrarland umzuwandeln. Kiefer hatte immer sehr gemischte Gefühle gegenüber dem Nachkriegsdeutschland – nicht zur Freude der deutschen Öffentlichkeit – und drückte diese oft mit den Worten des Dichters Paul Celan aus. So wurden viele Werke in der Ausstellung nach einem Gedicht von Celan benannt, von dem Kiefer sagte, dass dieser Dichter in der Lage sei, unaussprechbare Gefühle in Worte zu fassen! Aufgrund seiner Freundschaft mit Rudi Fuchs, dem ehemaligen Direktor des Van der Abbe-Museums in Eindhoven, schien Kiefer in Holland bereits bekannt zu sein, bevor er in Deutschland bekannt wurde. Deshalb besteht der Hauptartikel im Katalog von „Bilderstreit“ aus einem Artikel von Rudi Fuchs aus dem Jahr 1979! Ich habe meine erste Kiefer-Ausstellung in den 70er Jahren in der Kestnergesellschaft in Hannover gesehen und ich erinnere mich, dass ich sehr beeindruckt war. Außerdem hätte er keine Ausstellung in einem so prestigeträchtige Museum gehabt, wenn er nicht anerkannt worden wäre, also vermute ich, dass Kiefer in Kunstkreisen bereits anerkannt war, aber aufgrund seiner kritischen Haltung zur deutsche Geschichte, von offizieller Seite nicht gelitten war. Das kommt mir sehr bekannt vor, denn mein eigener (deutscher) Mann hatte die gleiche Einstellung und die gleiche Kritik an der deutschen Politik. Der Film des ebenfalls am Ende des Zweiten Weltkriegs geborenen Wim Wenders, zeigt diese Seite von Kiefer. Man sagt, dass beide während der Dreharbeiten zum Film „Anselm“ Freunde geworden sind, was man beim Betrachten des Films selbst spüren kann! Ich freue mich sehr, dass ich die Arbeit von Kiefer 2022 während der Biennale von Venedig und jetzt wieder in Holland, im wunderschönen Museum Voorlinden, sehen konnte. Ich glaube, dass ich die spektakulärste Ausstellung des Jahres 2024 bereits jetzt gesehen habe und freue mich, dass ich sie besuchen durfte.
Der Katalog “Anselm Kiefer -Bilderstreit” wurde von der Stichting Voorlinden, Wassenaar Netherlands herausgegeben, 2023, 183 Seien , Farbe, ISBN 978-94-92549-91-4, Preis ca. 50 Euro
Beatrijs Sterk