Diese große Ausstellung mit dem französischen Untertitel “Tapis et tapisseries d’artistes’ ist vom 11.10.2013 bis 9.2.2014 im Musée d’Art moderne de la Ville de Paris (11 avenue du Président Wilson, F-75116) zu sehen. Gezeigt werden Exponate von über 110 Künstlern von 1880 bis 2000. Der künstlerische Leiter dieser Ausstellung ist der 1947 geborene in London lebende Franzose Marc Camille Chaimowicz mit sehr eigenwilligen Kunstauffassungen.
Es werden fünf Zeiträume unterschieden und den Künstlern zugeordnet. von 1880 bis 1940 sind dies u. a. William Morris und Anni Albers, also frühe Reformer und spätere Bauhäusler; von 1940 bis 1970 z. B. Jean Lurçat und Victor Vasarely, also Kartonmaler und Grafiker oder auch Bildhauer wie Alexander Calder; von 1970 bis 1980 Magdalena Abakanowicz und die Riege der Biennaleteilnehmer in Lausanne, von 1980 bis 2000 mit Rosemarie Trockel und erstaunlicherweise Vivienne Westwood, sowie seit 2000 32 Künstler, von denen kaum einer in der Textilszene aufgetaucht ist, so z. B. Pae White, die Malerei und Skulptur studiert hat und sich von industriellen Jacquardwebern ab und zu ihre Entwürfe ausführen lässt. Hatten sich zu Lausanne-Zeiten noch der Mitbegründer der Biennale Pierre Pauli und der damalige Direktor des Kantonalen Kunstmuseums im Palais de Rumine, René Berger, um die Aufbrüche der Karton-Tapisserie zu den textilen Künsten bemüht und mit Erstaunen und produktiver Neugier das Neue emotional und intellektuell zu fassen versucht, legte sich mit der Nachfolgerin von René Berger wieder der bornierte Geist der Kunstwissenschaftler auf die Biennale: Aus Tapisserie wurde im letzten Lausanne-Katalog “Textil und Zeitgenössische Kunst”, also Textil als etwas anderes als zeitgenössische Kunst! (sieheTF3/2012) Andererseits kommen die Kunstwissenschaftler an dem nicht vorbei, was die traditionellen Tapisserien auch noch beinhalteten, denn sie waren visuell ebenso wie taktil anwesend, ästhetisch und funktionell verwendbar, sogar transportabel. Sie überstiegen die üblichen Grenzen des Dekorativen und des Design. Decorum wird hier zu einem Passepartout, einem Generalschlüssel zur Kunst, wie ihn die Ausstellungsmacher verstehen. Einige Katalogtexte lesen sich wie ein Freibrief: Alles sei möglich – anything goes. Wir haben solche Sätze schon bei Michael Petry, dem Autor des Buches “The Art of not making” (s. TF 2/2013, S. 40) gelesen. Der künstlerische Leiter dieser Ausstellung ist Absolvent dreier Londoner Kunstschulen, u. a. der Slade School of Fine Art. Es sind Leute aus dieser akademischen Ausbildung, die den Kunstbetrieb bevölkern, ohne Bezug zur Materie des Textilen, die seit 1980 die Kunstkataloge wälzend, außer Vivienne Westwood kaum einen Menschen mit textiler Ausbildung kennen und auf das Niveau von Jean Lurçat zurückgefallen sind, der – erschreckt nach den ersten Lausanne-Biennale-Ergebnissen – ausrief “Misstraut diesen kleinen strickenden Mädchen…” Und in der Tat, Künstlerinnen, wenn sie sich mit Textil beschäftigen, treiben den zumeist männlichen Kunst-kuratoren Pickel ins Gesicht. Aus Angst vor diesem Vorurteil hat sich Rosemarie Trockel, selbst eine ehemalige Lehramts- und Werkkunststudentin dazu gebracht, sich offensiv feministisch zu gebärden, was ihren Strickerinnen-phobischen Werken höchste Anerkennung in Kunsthandelskreisen eintrug. (http://www.mam.paris.fr/node/790). Dennoch: Auch in Paris versucht man, den traditionellen Hochmut der gängigen Kunstgeschichtsbetrachtung zu durchbrechen und wie in Wolfsburg ‘neue’ Blickwinkel fürs Thema zu suchen und zeit- und kulturübergreifende Betrachtungsaspekte zur Geltung kommen zu lassen (siehe auch Katalogbesprechung )