Decorum

TF4_2013_45_01

Tapis & tapisseries d’artestes, Hrsg. Musée d’Art moderne de la Ville de Paris; Skira Flammarion, Paris 2013, ISBN 978-2-08130- 019-4; 224 Seiten, 115 Farbabb., Texte auf französisch.

Dies ist das begleitende Katalogbuch zur Ausstellung gleichen Titels im Pariser Museum. Man sollte Bücher nicht nach ihrem Klappentext beurteilen, aber hier wird auf dem Buchrücken für die Ausstellung mit 20 Künstlernamen geworben, die z. T. noch verkannte gewebte Meisterwerke (des chefs-oeuvre tissés d’artistes) geschaffen haben sollen, darunter mindestens die Hälfte Leute mit Kunst-, Skulptur- oder Grafik-Studien wie z. B. die US-Amerikanerin Pae White, die nur gelegentlich industrielle Jacquardrealisationen ihrer Entwürfe herstellen lässt. Solche Kunstauffassungen machen das ganze Unterfangen von Ausstellung und Begleitbuch zu diesem textilen Thema unglaubwürdig! Hat man im Verlaufe des 20. Jh. das Spezifikum des Textilen zu ignorieren gelernt oder sind nur die Kunsthistoriker konservativer Schule ignorant geblieben, die im Allgemeinen an Kunstmuseen für das Ausstellungsgeschehen zuständig sind? Die Verantwortlichen fürs Thema möchten mit ihren eigenen Worten einen Beitrag zum Verständnis für eine Weise des Gestaltens legen, die viele Künstler anregt, d. h. gleichsam ein Werkzeug an die Hand geben, mit dem sich der Kunst der Tapisserie unter technischen, historischen und künstlerischen Gesichtspunkten besser genähert werden kann. Das erlaubt natürlich auch Beiträge zuzulassen, die textilfremde Künstler mit Werken zu zeigen erlaubt, die dem textilen Metier nur angefühlt nahe stehen. Durch die Eingrenzung des Themas auf Teppiche und Tapisserie entgeht den ausgestellten Objekten und Autoren die Gefahr, wie bei der Wolfsburger Aufgabenstellung zu sehr in allgemeinen Gestaltungsbetrachtungen zu enden. Der Katalog „Decorum“ präsentiert in seinem Bildteil eine sehr interessante Folge von Objekten aus der Zeit von 1880 bis heute und bemüht im Textteil mehrere Autoren, sich sowohl mit den textilen Künsten, den Einflüssen früherer Kulturen auf diese (koptische, präkolumbische, persische, indianische und tibetanische Beispiele) zu beschäftigen, als auch Fragen des (Kunst-) Handwerks und orientalischer Teppichkunst aufzugreifen. Wer sich für die Thematik Kunst-Textil interessiert, findet in dieser Lektüre (auf französisch) und dem Begleitbuch der Wolfsburger Ausstellung (auf deutsch bzw. englisch) zwei sehr vielseitige und streitbare Auffassungen, die uns noch lange beschäftigen werden. Unter anderem stellt sich die Frage, warum gerade jetzt in mehreren Ländern gleichzeitig der Zusammenhang Kunst und Textil diskutiert wird.