El Anatsui – Triumphant Scale
Diese Ausstellung ist vom 8. März bis 28.Juli 2019 im Haus der Kunst in München zu sehen. Es heisst, es sei die grösste Einzelausstellung eines Afrikaners in Europa. EL Anatsui ist 1944 geboren, stammt aus Ghana und lebt in Nigeria. Kurator dieser Ausstellung war Okwui Enwezor aus Nigeria, der bis 2018 Direktor des Hauses der Kunst war. Das ursprünglich ‘Haus der Deutschen Kunst’ genannte riesige Gebäude in neoklassizistischem Stil, entworfen von Paul Ludwig Troost, war bei seiner Errichtung 1937 das erste architektonische Vorzeigeprojekt der NS-Propaganda! Nach dem Krieg hatte sich das Haus der Kunst dann sehr konsequent der Moderne verschrieben. Im Zuge des nationalistischer werdenden Zeitgeists hört man leider, dass es in München Stimmen gibt, die für das Haus einen Direktor wünschen, “der wieder deutsch spricht”.
Wenn man die Ausstellung besucht und das Haus der Kunst zum ersten Mal sieht, ist man beeindruckt, ja fast erschlagen, von den Ausmassen der Räume. Dieser Eindruck verschwindet aber in der El Anatsui Ausstellung. Nicht nur schafft es der Künstler mit Leichtigkeit, die riesigen Räume zu füllen, er vermittelt den Besuchern dabei auch noch ein Gefühl von Wohlbehagen durch seine grossen “Tücher”. Denn obwohl die Arbeiten sehr groß und schwer sind, bestehen sie doch aus kleinteiligen, metallenen Flaschenverschlüssen, die flach geklopft, zerschnitten, gedreht, gerollt, zerdrückt und mit Kupferdraht aneinander befestigt sind. Seine Helfer machen daraus farbige “Blöcke”, die dann von ihm angeordnet und von den Helfern verbunden werden.
Seine Arbeitsweise gleicht der der Patchworker, deren Arbeiten auch aus “Blöcken” bestehen, und die auch oft mit gefundenen Stoffen oder Stoffresten arbeiten. El Anatsui sagt, dass der Künstler “mit dem arbeiten solle, was seine Umgebung ausspuckt”. Und weiter, dass jeder Künstler sich direkt mit seinem Material auseinander setzen sollte (auch wenn er dabei Hilfe braucht). Es ist bekannt, dass er sich von den Webmustern und graphischen Symbolen, die man auf Kente- und Adinkra-Stoffen findet, inspirieren ließ. Der Zusammenhang von El Anatsuis Arbeiten mit Textil wird auch aus den Titeln seiner Werke wie “Man´s Cloth” oder “Old Cloth Series” deutlich. In der Ausstellung “Kunst & Textil” in Wolfsburg 2014 war seine Arbeit “Prophet” aus dem Jahr 2012 vertreten.
Das riesige Labyrinth “Logoligi” für den mittleren Raum wurde hauptsächlich aus dünnen Ringen (in Streifen geschnittene Flaschenhalsverschlüsse) hergestellt, was die begehbare Installation sehr viel leichter machte als die schweren Wandbekleidungen, die in grossen Falten von den Wänden hängen. Hier wird es ganz deutlich, dass der Künstler auf die monumentalen Abmessungen des Ausstellungsortes eingegangen ist. Aber statt Mauern und feste Wände, die den Zuschauer einschüchtern, entsteht bei ihm Leichtigkeit, ein Spiel von Licht mit Material, das an Sonnenstrahlen durch Nebelschwaden erinnert, wie eine Metapher für die Überraschungen des Lebens. Diese Installation ist eine deutlich erweiterte und veränderte Version von “Gli” (Mauer, Wall), einer früheren raumgreifenden Installation aus dem Jahr 2010.
Es sind außer seinen großen “Tüchern” auch seine früheren Holz- und Steinskulpturen sowie Skizzen ausgestellt. Man sieht deutlich, wie der Künstler auch hier mit kleineren Teilen arbeitet, um daraus eine grössere Skulptur zu gestalten. Titel wie “Zerbrochene Töpfe” oder “Holzstücke” deuten auf diese Arbeitsweise hin. Bereits in diesen Arbeiten fiel mir der textile Charakter der Arbeiten auf. Die kleinen Skizzen sind ähnlich wie die von Patchworkern und Textilgestaltern. Hier erprobt El Anatsui das Zusammensetzen vieler kleiner Teilchen, mit viel Rhythmus und hell-dunkel Kontrasten. Eine Fundgrube für Textilgestalter!
Seine grössten Erfolge errang er jedoch nicht durch seine Stein- oder Holzarbeiten sondern mit seinen metallenen “Tüchern”! 2007 war er auf der Biennale von Venedig zu sehen mit “Dusasa II, 2007, 550 bei 650 cm groß, eine Arbeit, die auch in München zu sehen ist. Ausserdem gestaltete er eine sehr große “Stoff”-Installation an der Aussenwand des Palazzo Fortuny. 2015 gewann er dann die Goldene Palme in Venedig für sein Lebenswerk.
Auch auf der Venedig Biennale 2019 wird er wieder präsent sein und zusammen mit Ibrahin Mahama (ebenfalls sehr textile Arbeiten) als Vertreter Ghanas zu sehen sein.
Für die Münchner Ausstellung hat El Anatsui ausser des genannten Labyrinths “Logoligi” noch zwei weitere Arbeiten extra für die Münchner Ausstellung geschaffen: die Arbeit “Rising Sea”, die eine ganze Wand der Ausstellung einnimmt und die auf einen weltweit steigenden Meeresspiegel eingeht, und die Ausseninstallation an der Südwand des Museums, „Second Wave“, die bislang größte Arbeit El Anatsuis. Die Idee zur Installation entwickelte der Künstler nach dem ersten Besuch im Haus der Kunst Ende 2017. Inspiriert wurde er von der Eisbachwelle (ein Münchener Hotspot für Surfer) und vom „Zeitalter der Information“, in dem wir leben. El Anatsui arbeitet gerne mit Abfallmaterialien, in diesem Fall mit etwa 10.000 Offset-Druckplatten! Leider konnte ich die Arbeit durch widrige Wetterbedingungen nicht richtig würdigen. Ich war aber auf Anhieb nicht sehr begeistert und warte auf eine weitere Gelegenheit zur Besichtigung.
„El Anatsui – Triumphant Scale“ ist bis zum 28. Juli 2019 in München zu sehen und reist weiter zum Mathaf Arab Museum of Modern Art in Doha (1. Oktober 2019 bis 2. Februar 2020), zum Kunstmuseum Bern (13. März bis 21. Juni 2020) sowie ans Guggenheim Museum in Bilbao (17. Juli bis 1. November 2020). Bei Prestel, München, erscheint am 8. Juli 2019 ein Katalog mit Essays von Enwezor und Okeke Agulu, der auf 320 Seiten 190 farbige Abbildungen aus dem Archiv des Künstlers enthällt. ISBN 978-3-7913-5824-6, Preis 49 Euro. Eine englische Ausgabe erscheint zur gleichen Zeit bei Prestel, UK.