Hella Jongerius: Kosmos Weben
Beim Betreten der Ausstellung wundert man sich zunächst einmal warum ein Designstudio von Weltruhm das Thema Weben für eine Ausstellung in einem ebenso berühmten Kunstmuseum wählen sollte (Gropius Bau zeigte Yayoi Kusama neben der Jongerius-Schau); aufgrund der in dieser Ausstellung visualisierten Ambitionen (Handwerk als Bestandteil einer nachhaltigen Zukunft, es werden sogar auch die spirituellen Aspekte des Webens hervorgehoben). Das Ziel von Hella Jongerius ist nichts Geringeres, als die Industrie zu heilen! Ich habe versucht, den Grund für diese Ausstellung zu finden, alles zu lesen, was ich darüber finden konnte und mit den (hauptsächlich niederländischen) Designern des Jongeriuslab in Berlin zu sprechen. Es schien, dass Hella Jongerius kürzlich eine Auszeit (von ihre üblichen Design-Arbeit für die Industrie) genommen hat und gerade in dieser Zeit vom Gropiusbau angesprochen wurde, um über eine Ausstellung nachzudenken. Sie fand dies eine gute Möglichkeit, ihre Ideen zur Veränderung der Zukunft der Textilindustrie auf einer neuen kulturellen Plattform zu zeigen: Wie kann Handwerk ein Teil einer nachhaltigen Zukunft sein. Das Weben hat viele Aspekte, nicht nur Nachhaltigkeit, es gibt die umweltschädliche Industrie, die schrecklichen Arbeitsbedingungen, aber auch die spirituellen Aspekte des Webens.
“Durch Kosmos weben versuche ich , die kulturelle Bedeutung des Webens – über Materialien und Technik hinaus – zu verstehen. Das ist tief mit den Herausforderungen unserer Zeit verbunden, mit Fragen von Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Spiritualität. Zum Beispiel: Was kann die heilende Funktion von Objekten sein?“
In der Ausstellung arbeitete das Jongeriuslab seit November 2020 an der Vorbereitung der Ausstellung, die im April 2021 virtuell eröffnet wurde. Seit Mai dürfen wir die Ausstellung in Echt sehen und so habe ich sie zusammen mit Gertraude Pohl besucht, deren Arbeiten ich zuletzt in meinem Blog vorgestellt hatte. Gertraude ist wie Hella Jongerius eine Designerin, die für große öffentliche Aufträge gearbeitet hat, nicht nur mit Textilien. Wir waren beide beeindruckt von dem, was in dieser Ausstellung erreicht wurde.
Es gibt verschiedene Räumen mit unterschiedlichen Themen, die angefangen mit “Raum Amuletten”.Hier setzt sich Jongerius mit Heilung und dem transformativen Einfluss von Gegenstände auf Menschen und Räume auseinander. Die Arbeiten erzählen von der heilende und schützende Wirkung dieser Gegenstände.
Der zweiter Raum trägt den Titel “Cosmic Loom“( Kosmischer Webstuhl)”. Jongerius beschäftigt sich in dieser Installation mit der Idee, eine neue Textur der Welt zu weben: ein Textil das Geist und Materie verbindet. Die Tage Donnerstag und Samstag nehmen eine besonders wichtige Rolle in der Installation ein. Diese Tage, wie auch die verwendete Fasern und Farben, wurden vor der Ausstellung zusammen mit Schamaninnen im Gropius Bau ausgesucht, deren Verständnis von astronomischen und spirituellen Kreisläufen der Zeit in dieser Arbeit eingeflossen ist.)
Der dritte Raum heißt “Woven Windows” und war für mich die größte Überraschung. Ich habe die meisten Künstler und Designer, die mit dem von Vibeke Vestby aus Norwegen erfundenen Hand-Jacquardwebstuhl TC2 arbeiten, aufmerksam verfolgt. Wegen der Pandemie hat Jongerius ihre Fenster hauptsächlich selbst gewebt. Herausgekommen sind wahre Meisterwerke der Anwendung dieser Maschine, um die Möglichkeiten des Webens als Malakt zu erkunden. Würde sie es zu irgendeiner Textilkunstausstellung schicken, würde sie Aufsehen erregen! Das Fenster ist ein prominentes Motiv in der Malerei. Schon in seinem Aufbau ist es mit dem Bilderrahmen verwandt und offenbart ein Blick nach draußen, oder auch nach drinnen sowie in ein Bild hinein. So ist das Fenster ein Sinnbild des Sehens
.”Dancing a Yarn” heißt der folgende Raum, der eine von Gropius Bau in Auftrag gegebene Maschinen zur Garnherstellung zeigt. Es ist eine Einladung an die Besucher*innen, sich aktiv an der Herstellung zu beteiligen. Ähnlich wie beim Tanz um einen Maibaum soll das Garn hier gemeinsam “ertanzt” werden. Die gemeinsam produzierten Seile werden zu Strickleitern heranwachsen die im Außenbereich des Gropius Bau gezeigt werden sollen.
Der nächster Raum zeigt den vom Jongeriuslab entwickelten „Space Loom #2“ zur Erforschung des dreidimensionalen Webens. Mit diesem speziellen Webstuhl können die Kettfäden in verschiedene Richtungen bewegt und der Schussfaden um diese herum gewebt werden. Der Schussfaden bewegt sich also nicht nur von links nach rechts, sondern kann in alle Richtungen gewebt werden, wodurch 3D-Objekte, sogenannte „Matrix-Module“, entstehen. Was man tatsächlich sieht, sind 4 kleinere Handwebstühle, die so angeordnet sind, dass die Ergebnisse in der Mitte zusammenlaufen. Es sieht sehr unpraktisch aus und benötigt mindestens 3 Personen, die daran arbeiten müssen. Als wir dort waren, wurden die Webstühle wieder neu vorbereitet, so dass wir diesen “Räumlicher Webstuhl” nicht in Betrieb sehen konnten. Aber wir konnten die produzierten 3D-Objekte sehen, die klein aber sehr kompliziert aussahen. Hella Jongerius arbeitet gern von Hand. Wenn die Maschine langsam ist, umso besser, da sie dem Schöpfer mehr Zeit zum Experimentieren gibt. Bereits 2019 zeigte sie in Paris einen ähnlichen Webstuhl, den “nahtlosen Webstuhl”, der einen großen runden Stoff schuf, der wie gewebte Architektur aussieht.
Die folgende Gruppe von Arbeiten “Pliable Architecture” (Biegsame Architektur) fragt: Wie und wofür kann dieses alte Handwerk heute verwendet werden? Welche Materialien werden heutzutage verwendet und wie Baumaterialien neu erdacht werden können? Mithilfe dieser Methode entstehen Objekte, die beispielsweise ein großes Volume bei minimalem Materialeinsatz realisieren. Dadurch entstehen verschiedene Materialqualitäten innerhalb einer Struktur, die von steif bis flexibel oder von undurchsichtig bis transparent reichen. Einigen dieser gewebten Strukturen fügt Jongerius Funktionen hinzu, wie etwa Photovoltaikstreifen und Energie leitende Garne, welche die gewebte Struktur in Bewegung setzen oder zum leuchten bringen können. Gewebte Strukturen sind leichter , haltbarer und benötigen weniger Material, daher sind sie wirtschaftlich sinnvoll und umweltschonend. Diese biegsame Architektur wird auf dem TC2 Hand-Jacquard-Webstuhl hergestellt! Am meisten berührt war ich vom ruhige „Atmen“ der gewebten Strukturen – realisiert von Jongeriuslab-Designer Jos Klarenbeek mittels Photovoltaik-Streifen und leitendem Garn –, was ihnen ein poetisches Eigenleben verleiht.
Für den letzten Raum “Woven Systems” (Gewebte Systeme) hat Jongeriuslab mit Garnen, Bindungen und Texturen und der grundlegenden Logik des Webens experimentiert – Fäden die sich in einem Raster überkreuzen. Jongerius ist von der Starrheit des Webens fasziniert, welche sie als Sinnbild nimmt, über Systeme, Gitter, Schichten und Verbindungen nachzudenken. Vor allem das westliche Denken bricht Prozesse auf Kategorien und Regeln herunter, die einem kreisförmigen Planeteneine lineare Logik aufzwingen. Für Jongerius erzeugen Systeme im Entwurfsprozess Bedeutung, können aber zugleich einengen und einschüchtern. Sie fragt danach, wie wir uns zu diesen Netzwerken von Verbindungen verhalten, die sich unserer Kontrolle entziehen.
Auf den ersten Blick bemerkte Gertraude Pohl, dass dieser Vorgehensweise der Arbeit mit ihren Schülern an der berühmten Ost-Berliner Kunsthochschule Weißensee ähnelte. Aber als wir dann aber weiter schauten, stellten wir fest, dass Hella Jongerius – die nach Aussagen Ihres Teams die meisten Arbeiten in diesem Raum selbst gemacht hat – im Bezug auf Maßstab, Materialien, Techniken, die Grenzen voll ausgereizt hatte. So hatte sie zum Beispiel ein riesiges Gewebe hergestellt mit Bündeln leichtem Seidenpapier, kombiniert mit dicken schwarzen Seil, das eine ganze Wand des großen Gropius Baus ausfüllt! Dies stand in Kontrast zu sehr feinen Druck- und Stickschichten sowohl auf Papier als auch auf Stoff. Ich nenne das „riesige Gewebe“ eine eindrucksvolle Verflechtung, an der alles gegensätzlich maximal erscheint: die Farben weiß und schwarz, die Materialien leicht und schwer, die Formen lustvoll skulptural und linear gebunden, die Anmutung poetisch flüchtig wie auch konkret gefasst. Eine Augenweide, die uns fast glücklich stimmte! Und ein Sinnbild von mutigem Denken.
Als wir ankamen, waren wir aufgrund der ambitionierten Ziele der Ausstellung skeptisch, gingen aber mit einem sehr guten Gefühl nach Hause, eine tolle Gemeinschaftsarbeit gesehen zu haben, die viel zum Nachdenken anregt! Mein Respekt vor Hella Jongerius und ihrem enthusiastischen Team!
Diese Ausstellung wird im Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin until 15 August 2021 zu sehen sein.