Else Mögelin – Bauhaus und Spiritualität in Pommern
Ausstellung von 11 April bis 9 Juni 2024 im Nationalmuseum in Stettin
Ich erfuhr von dieser Ausstellung über die Bauhausweberin Else Mögelin von Freunden der Kunstakademie in Stettin. Weil ich dieser Weberin Ende der 70er Jahre noch persönlich begegnet bin, wollte ich die Ausstellung unbedingt sehen. Ich wurde nicht enttäuscht, denn die Schau im Nationalmuseum von Stettin war die beste, die ich in letzter Zeit gesehen hatte! Das lag auch daran, dass der Kurator Dr. Szymon Piotr Kubiak sich viel Mühe bei der Aufmachung der Ausstellung gegeben hat. Mir schien es, dass er die Bauhaus-Avantgarde mit heutigen Mitteln nachempfinden wollte, was zu einer zeitlosen Gestaltung führte. Ähnlich im „Bauhaus-Stil“ gehalten war die große Übersichtsausstellung von Anni Albers im Kunstmuseum Düsseldorf 2018 , die einer sehr frühen Ausstellung von 1949 im Museum of Modern Art New York nachempfunden war.
Auch die Beschriftung in der Stettiner Ausstellung war vorbildlich, in deutsch und polnisch, und half dabei, das Thema „Bauhaus und Spiritualität“ zu verstehen. Damit war das Konzept der Sakralisierung der Natur- und Landschaftsmalerei als Werk moderner religiöser Kunst gemeint. Die Herkunft dieser Richtung in der damaligen Provinz Pommern hatte, laut Erläuterung auf den Schrifttafeln, seinen Ursprung in den romantischen Arbeiten von Caspar David Friedrich und Otto Runge. Dies war mir neu, denn ich hatte die Spiritualität des Bauhauses eher mit Esoterik in Verbindung gebracht; die Mazdaznan-Lehre, die Anthroposophie und die Theosophie von Johannes Itten, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Georg Muche und andere.
Bezogen auf Else Mögelin war die Natur als Ausstrahlung des Göttlichen wohl schon in den Werken aus der Zeit des ersten Weltkrieg präsent und blieb immer erkennbar als Thema ihrer Arbeiten auch nach 1945.
In der Stettiner Ausstellung wurden überwiegend Grafik, Entwürfe, Aquarelle und Bildgewebe von Else Mögelin gezeigt. Die Bildgewebe waren in verschiedenen Bindungen und mit diversen Materialien am Mehrschafts-Flachwebstuhl mit sichtbarer Kette gewebt, in einer ähnlichen Technik – auch „Halbgobelin“ genant -, wie auch Johanna Schütz-Wolff sie benutzte. Es scheint, dass Mögelin manchmal nach Ihren Aquarellen gewebt hat, ohne einen ganz genauen Karton zu benutzen. Diese Richtung des direkten Bildwebens nur anhand eines Entwurfes hatten und haben auch andere Weberinnen angewandt. Es wäre interessant, ob diese kreative Vorgehensweise am Bauhaus entstanden ist, wie ich es annehme?
Als Absolventin des Bauhauses brachte Mögelin innovative gestalterische und didaktische Methoden in die damalige Provinz Pommern. Von 1927-1942 leitete sie die Textilwerkstatt an der Städtischen Handwerker-und Kunstgewerbeschule in Stettin, die eng mit dem Städtischen Museum unter der Leitung von Walter Riezler kooperierte. So wurden immer Arbeiten von Dozenten und Studierenden präsentiert und dadurch moderne Strömungen in der Kunst gefördert. Vom Kreis der Künstler um Else Mögelin waren Arbeiten von Friedrich Bernhardt – Malerei, Otto Lindig – Keramik und Kurt Schwerdtfeger, ebenfalls Bauhausabsolvent und Leiter des Bildhauerateliers der Schule, zu sehen. Direktor der Schule war der Architekt Gregor Rosenbauer, ebenfalls ein Förderer der modernen Kunst. Im Jahr 1930 gründete Friedrich Bernhardt die Gruppe „Neues Pommern“ mit Unterstützung durch Walter Riezler. Die für das Bauhaus wichtige Verbindung von Kunst und Leben überdauerte den Nazi-Umbruch, jedoch verloren Rosenbauer und Riezler schnell ihre Positionen.
Ein weiterer Schwerpunkt war das gestiegene Interesse an moderner protestantischer Kunst. Im Jahr 1929 wurden Zeichnungen, Modelle und Fotografien modernistischer evangelischer Kirchen im Städtischen Museum gezeigt. Dozenten der Stettiner Schule machten mit, und auch Else Mögelin erhielt Aufträge aus den pommerschen Glaubensgemeinden.
Eine der ersten Webarbeiten in der Ausstellung war ein Wandbehang, der auf dem bekannten Foto des Arbeitszimmers von Walter Gropius zu sehen ist, entworfen 1923 durch Else Mögelin, nachempfunden 2018 von Anna Silberschmidt aus dem Studio Aphorisma in der Toskana. Ich fand diese Arbeit besonders gelungen und kann mir vorstellen, wieviel Einfühlungsvermögen und Fantasie hierbei eine Rolle spielten. Else Mögelin sah ihre Zeit in Stettin, vor allem die frühen 30er Jahre, als ihre beste Zeit an. Es ist schade, dass ganz wenig Arbeiten aus dieser Zeit zu sehen waren, denn viele Arbeiten scheinen beim Brand der Weberei der Stettiner Schule kriegsbedingt verloren gegangen zu sein.
Beim Durchwandern der Ausstellung mit mindestens 15 Wandbehängen, vielen farbigen Aquarellen, Druckgrafik, Jacquardstoffen, Teppichentwürfen, Töpfereien, sakralen Entwürfen sowie Fotos von Arbeiten in Kirchen kam mir immer wieder die Leipziger Ausstellung von 2015 mit Johanna Schütz-Wolff in den Sinn. Ähnlich begabt wie Else Mögelin hatte auch Schütz-Wolff nie die Bekanntheit wie Anni Albers erreicht. Damals schrieb ich, dass es wohl daran lag, dass nichts, was aus der DDR kam, in Westdeutschland wahrgenommen wurde! Wie war das bei Else Mögelin, die 1945 Textildozentin an der Landeskunstschule in Hamburg wurde? Sie vertrat Deutschland auf der Mailänder Triennale von 1951 mit dem Wandbehang „Die Erde“, und 1953 war sie mit drei Wandbehängen auf der Ausstellung „Die Frau als Schöpferin“ vertreten. Im Jahr 1961 entsteht in Zusammenarbeit mit Maria Thierfeldt, auch eine Bauhausabsolventin, der Wandbehang „Menschen“ für die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Stockholm. Auch hatte sie nach ihrer Pensionierung viele Aufträge von Kirchen, u.a. entwarf sie den „Bugenhagenteppich“ für die sogenannte „Pommernkapelle“(1955-1962) in der Nikolaikirche in Kiel, der von ihrer Meisterschülerin Brigitte Schirren ausgeführt wurde. Aber sie erreichte auch nicht annähernd die Bekanntheit wie Anni Albers oder Gunta Stölzl. Es scheint, dass auch Textilkünstler im Nachkriegs-Deutschland mit weniger Anerkennung bedacht wurden. Glücklicherweise ist ein erneutes Interesse entstanden, so fand vom 2.12.23 bis 3.3.24 die Ausstellung „Else Mögelin – Ich wollte, gegen alle Hindernisse, weben“ im Brandenburgischen Landesmuseum für Moderne Kunst in Deutschland statt, sowie jetzt die noch umfangreichere Schau in Stettin, Polen, eine Ausstellung, die es verdient hätte, an mehreren Orten gesehen zu werden!
Es stellt sich die Frage, wie Else Mögelin die NS-Zeit überstanden hat, wo doch Johanna Schütz-Wolff ihre eigene Arbeiten zerschnitten hatte, weil diese als entartet galten, und in Kriegszeiten keine Materialzuteilungen mehr erhielt (wie ich in einem Gespräch mit der Weberin Allen Müller-Hellwig erfuhr). Zwar wurde ein Teil von Mögelins Arbeiten auch als „Entartet“ aus öffentlichen Sammlungen entfernt, aber es kam ihr der Umstand zugute, dass das Nazi-Regime dem Handwerk zugetan war. Mögelin hatte sich mit der Weberei der Künstlergemeinschaft Gildenhall, wo sie 1923 die Textilwerkstatt übernahm, und der sie als Beraterin ab 1927 weiterhin verbunden war, einen Namen geschaffen und erhielt dadurch viele Aufträge. Sie war nicht, wie etwa Allen Müller-Hellwig und Irma Goecke, die erste Wahl für Representationsbauten des NS-Regimes, aber sie verfolgte einen bewusst vorsichtigen Kurs. Sie schrieb “wenn damals ein Künstler arbeiten wollte, dann musste er Konzessionen machen, da es ein Problem war, das richtige, vom künstlerischen Gewissen noch tragbare Maß zu halten“. Auch war sie nicht verheiratet und lebte seit den 30er Jahren mit der Weberin Jeanette Ganzert zusammen, was damals nicht normgerecht war. Ihre starke christliche Prägung und ihre Verbindung zum Bauhaus und zu Vertretern der Moderne waren ebenfalls nicht gern gesehen. Else Mögelin flüchtete in dieser Zeit immer wieder in die Natur und in ihre künstlerische Arbeit.
Diese intensive Verbindung zur Natur und Ihrer Symbolik (z.B. Runen) hat ihren Stil bereits viele Jahre vorher geprägt und fand immer wieder Ausdruck in ihren Arbeiten.
Auch die schwierige Auftragsbeschaffung in der NS-Zeit, indirekt durch die ehemaligen Direktoren, zeigt die Problematik im damaligen System.
Vieles an Hintergrundwissen wurde mir vermittelt von Kathrin Daßler & ihrem Partner, der Galerie und Kunsthandel „Blaue Brücke“ in Dresden, Sammler der Werke von Else Mögelin.
Beide waren bei der Eröffnung anwesend, und ich verdanke es Ihnen und Dr. Dariusz Kacprzak, Vizedirektor des Museums, dass ich das ehemalige Wohnhaus von Else Mögelin sehen konnte und in einer kleinen Stadtführung sehr viel erfuhr über die Veränderungen in Stettin nach 1945.
Am Eröffnungswochenende fand ein Workshop statt, organisiert von der Warschauer Bauhaus-Stiftung, einer Initiative von Joanna Klass und Wojtek S., die gegründet wurde, um ein frühes Gebäude aus dem Jahr 1906 von Walter Gropius zu retten und dort soziokulturelle Projekte durchzuführen. Dieser Workshop erinnerte mich an mein niederländisches Kreativitätstraining in den späten 60er Jahren!
Insgesamt war die Reise nach Stettin sehr positiv verlaufen, und ich war dankbar, dass ich bei der Eröffnung dabei sein konnte! In meinem nächsten Beitrag hoffe ich, den Katalog dieser sehr schönen Ausstellung zu besprechen, der dann erschienen sein wird.