Unravel: Macht und Politik in der Textilkunst
Die Ausstellung fand vom 14. September 2024 bis 5. Januar 2025 im Stedelijk Museum Amsterdam statt. Dies war der zweite Veranstaltungsort dieser wichtigen Ausstellung, die im Barbican Centre in London (13.2. bis 26.5.2024) begann. Nach dem Besuch der Ausstellung in Amsterdam war ich etwas enttäuscht, obwohl ich die Arbeiten vieler großartiger Künstler gesehen habe. Dies lag an dem Fokus der Ausstellung auf Macht und Politik. Es erweckte bei mir den Eindruck, dass Kuratoren der bildenden Kunst Textilkunst immer noch mit Vorbehalten begegnen. Es sei denn, sie drückt Rebellion oder Protest gegen soziale Ungerechtigkeit aus. Wenn Textilkunst vollständig akzeptiert wäre, bräuchte sie keine speziellen politischen oder modische Themen. Die äußerst erfolgreichen Überblicksausstellungen von Sheila Hicks in Düsseldorf/Bottrop und von Olga de Amaral in Paris sind überzeugende Kunstausstellungen, auch ohne politischen Bezug!
Die Kuratoren von ‘Unravel’ fragten sich: „Was bedeutet es, sich eine Nadel, einen Webstuhl oder ein Kleidungsstück als Werkzeug des Widerstands vorzustellen?“ „Wie können Textilien die Welt um uns herum auspacken, hinterfragen, abwickeln, entwirren und somit neu erfinden?“ Sie hatten verstanden, dass „das Medium innerhalb der Hierarchien der westlichen Kunstgeschichte historisch unterbewertet wurde. Textilien wurden als Handwerk betrachtet, das im Widerspruch zu Definitionen der bildende Kunst stand, als weiblich geschlechtlich zugeordnet und vom Kunstmarkt an den Rand gedrängt.“ Die Organisatoren wollten über 40 internationale Künstler zeigen, die diese Zuordnung in Frage stellen. „Diese Künstler nutzen das Medium, um kraftvoll über persönliche Alltagsgeschichten zu sprechen und umfassendere soziale und politische Themen zu erkunden … sie widersetzen sich den traditionellen Erwartungen an Textilien … sie greifen auf die Materialgeschichte zurück, um Ideen in Bezug auf Geschlecht, Arbeit, Werte und Ökologie aufzuzeigen, während sie gleichzeitig das Wissen der Vorfahren sowie Geschichten von Unterdrückung, Ausbeutung und Handel zeigen, die oft mit Textilien verflochten sind…“
Statt der chronologischen Geschichte der Textilkunst zu folgen, bietet die Ausstellung thematische Dialoge zwischen Künstlern – über Generationen und Regionen hinweg – wie Künstler Textilien genutzt haben, um Machtregime zu kritisieren oder herauszufordern“.
Die Werke wurden in sechs Kategorien gruppiert, viele der Künstlernamen aus diesen Kategorien waren austauschbar und nicht sehr präzise, aber der Gesamteindruck war der einer Außenseiter-Kunstform, die dank provokativer Werke auf dem Kunstmarkt auftaucht. Wenn Textilkunst wirklich Anerkennung gefunden hat, warum dann dieser Fokus auf Macht und Politik?
1. „Subversive Stitch“ für die Verwendung von Textilien als Vehikel für Befreiung, Ausdauer und sogar Protest (u.a. Judy Chicago, Tracey Emin, Ghada Amer),
2. „Fabric of Everyday life“ (u.a. Sheila Hicks, Faith Ringgold, Malgorzata Mirga-Tas)
3. „Wound and Repair“ weist auf das heilende Potential der Arbeit mit Stoff und Faden hin
(u.a. Louise Bourgeois, Diedrick Brackens, Harmony Hammond)
4. „Borderlands“: Statt einer Grenze können Grenzgebiete Orte tiefgreifender Kreativität sein (u.a. Kimsooja, T. Vinoja, Cian Dayrit)
5. „Bearing Witness“: Verwendung von Textilien zur Dokumentation oder zum Protest gegen politische Gewalt (u.a. Die anonymen „arpilleristas“ aus Chile, Hannah Ryggen, Violeta Parra)
6. „Ancestral Threads“: Diese Künstlerinnen holen alte Techniken und Materialien zurück, erlernen sie neu und beschwören sie herauf, um auf neue Weise zu kommunizieren
(u.a. Magdalena Abakanowicz, Yee I-Lann, Tau Lewis)
Die zweite Textile Revolution
Aufgrund der Vielzahl wichtiger Textilkunst-Ausstellungen im Jahr 2024, wie der Sheila Hicks-Retrospektive in der Kunsthalle Düsseldorf und im Josef Albers Museum in Bottrop, der „Woven Histories – Textiles and Modern Abstraction“ in der National Gallery of Art in Washington und der „Olga de Amaral“-Ausstellung in der Fondation Cartier in Paris, kam mir der Begriff „Zweite Textilrevolution“ wieder in den Sinn. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn bereits in meinem Blog geschrieben habe, aber er war einer der möglichen Titel eines neuen Buches über Textilkunst, das ich plane, falls ich jemals Zeit dafür finde. Jetzt, da Textilien in wichtigen internationalen Museen und Zeitschriften so präsent sind, erkennen auch andere Aktivisten aus der bildenden Kunst, was zehn Jahre nach Anfang dieser Revolution passiert. Elizabeth Markevitch von ikono.tv Berlin erklärt auf Instagram, dass 2024 das Jahr der Textilkunst war: „Früher als ‚Handwerk‘ oder ‚Frauenarbeit‘ abgetan, hat sich die Textilkunst als die neueste Obsession der Welt herausgestellt … nicht nur ein Trend, sondern eine Revolution … Kunstgeschichte wird neu geschrieben.“ Ihrer Ansicht nach „zeigt die Ausstellung ‚Unravel‘, dass in Textilien kraftvolle politische Statements gewebt sein können.“ Es ist erfreulich zu sehen, dass sich immer mehr Fachleute aus dem Kultursektor endlich dieser zweiten Textilrevolution bewusst werden, die 2014 begann (die erste fand Anfang der 60er Jahre auf der Biennale von Lausanne statt) und in den letzten zehn Jahren in meinem Blog dokumentiert wurde.
Was gab es in ‘Unravel’ zu sehen?
Da waren die großen Namen bekannter Textilkünstler wie Magdalena Abakanowicz, Cecilia Vicuña, Hannah Ryggen, Faith Ringgold, Sheila Hicks, Jagoda Buić, Lenore Tawney und viele andere. Darunter fehlte mir Olga de Amaral, die bis zu ihrer Pariser Show vor allem unter Textilfachleuten bekannt war.
Cecilia Vicuñas Arbeiten waren nur teilweise beeindruckend. Sie hatte eine ganze zusätzliche Wand für sich, die sie mit sehr kleinen Arbeiten bedeckte, was die Wand noch nicht fertig aussehen ließ. Aber ihre große Arbeit am Eingang der Ausstellung kam gut an!
Dann große Namen aus der bildenden Kunst: Louise Bourgeois, Judy Chicago, die (soweit ich weiß, selbst nie eine Nadel angefasst hat), Tracey Emin und Ghada Amer. Es war deutlich zu erkennen, dass Kunstkuratoren wissen, wer auf der Kunst-Biennale in Venedig anwesend war, zum Beispiel Malgorzata Mirga-Tas, Igshaan Adams, Myrlande Constant, Jeffrey Gibson, Tau Lewis, Pacita Abad, Antonio Jose Guzman und einige mehr.
Ich war über einige schlecht gemachten Arbeiten nicht sehr glücklich, z. B. die Arbeiten von Feliciano Centurion (Collage), Tschabalala Self (Collage), Jose Leonilson (Stickerei), Georgina Maxime (Kleid) und Kevin Beasley (audiovisuell), aber das ist immer ein Problem, wenn Kunstkuratoren die Werke auswählen. Sie kümmern sich nicht darum, wie gut die Arbeit gemacht ist, wichtig ist Ihnen nur die zum Ausdruck gebrachte Idee. Es war Jack Lenor Larsen, der Verfechter textiler Kunst, der nach Werken suchte, die Präsenz hatten und in den meisten Fällen auch sehr gut gemacht waren.
Es gab neun Werke aus der Sammlung des Stedelijk Museums, aber leider war kein einziger niederländischer Künstler in dieser Ausstellung vertreten. Das ist ein weiteres Problem der Kuratierung. Aus dem Katalog „Textiles- Collection Stedelijk Museum“ (ca. 1990) weiß ich, dass es niederländische Textilwerke in der Sammlung gibt (zum Beispiel Werke von Anna Verwey, Herman Scholten, Margot Rolf, Marian Bijlenga und vielen mehr), aber neuere Ankäufe scheinen nicht von niederländischen Künstlern zu stammen? Und wenn es neuere Textilwerke gibt, warum wurden diese dann nicht in dieser wichtigen Ausstellung gezeigt? Einige Werke wurden in London gezeigt, aber nicht in Amsterdam, wie das Werk von Yinka Shonibare „Boy on a Globe“ und „Hammock“ von Solange Pessoa, und einige weitere. Es blieb unklar wieso.
Mein Fazit: Wir haben einen Punkt erreicht, an dem Textilien in der Kunst in wichtigen Museen sichtbar sind. Es wäre ein großartiger nächster Schritt, wenn sich einige Kuratoren/Organisatoren auf Textilkunst spezialisieren würden, um Textilien umfassender wertzuschätzen und dabei sowohl den künstlerischen Wert als auch die Materialität und die technischen Fertigkeiten dieser Kunstwerke berücksichtigen.
Der Katalog war sehr schwer (etwa 2 kg). Er ist im Prestel Verlag erschienen und kostet bei Amazon etwa 45 Euro. Er enthält Fotos aller Werke und ist nach den oben genannten sechs Kategorien geordnet.
Beatrijs Sterk, Januar 2025